E-MailSucheenglishdeutschTwitterYouTubeFacebook

Logo

 

Dichtkunst und Tod – Wie soll mit literarischem Nachlass umgegangen werden?

 

Das Nachleben von Schriftstellern gestaltet sich unterschiedlich – je nachdem, ob sie Kultstatus erreicht haben und sich Erben, Fans oder Verlage für sie einsetzen. Umgekehrt sei ein langes Schriftstellerleben kein Garant dafür, dass ein Werk posthum Geltung erlange. In der Vorlesung warf Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, einen wissenschaftlichen Blick auf die literarische Nachlasspolitik.

Grundsätzlich müsse man die prekäre Lebenssituation vieler Schriftsteller im Alter mitdenken. Selbst der berühmte Johann Wolfgang von Goethe war zunächst zehn Jahre als Finanzminister tätig und musste erst darauf hinarbeiten, von seinem Werk leben zu können. Dennoch zählte er laut Richter zu den ersten Autoren überhaupt, die eine „Nachlassbewusstsein“ entwickelten. Seit seiner „Italienischen Reise“ bewahrte er sämtliche Schriftstücke und Bilder auf. Zum Lebensende hin war sein Archiv entsprechend umfangreich und auf sein Nachleben ausgerichtet. Friedrich Schiller hingegen konservierte sein schriftstellerisches Werk weniger gut – schlichtweg, weil er privat weniger Platz zur Verfügung hatte.

Mitunter gebe es statt eines Nachlasses sogar einen sogenannten „Vorlass“. Denn manche Autoren kümmerten sich selbst aktiv darum, ihr Werk zu Lebzeiten zu ordnen und Archiven zur Verfügung zu stellen. Positive Beispiele seien Hermann Hesse oder Martin Walser – von letzterem befänden sich rund 300 Kästen mit persönlichen Unterlagen im Deutschen Literaturarchiv, das er den „unterirdischen Himmel“ genannt habe. Autorinnen hingegen würden sich tendenziell weniger professionell mit ihrem literarischen Erbe befassen und auch weniger hinterlassen wie ihre männlichen Kollegen. Manchmal ergäben sich aber glückliche Umstände, wie bei der zeitgenössischen DDR-Autorin Julia Franck, deren heutiger Bestand im Archiv wegen eines privaten Umzugs 21 Kästen umfasst.

Teilweise sorgen die Verlage für ihre Autoren, manchmal übernimmt das Deutsche Literaturarchiv Marbach selbst diese Rolle, so Richter. Auf einer Fläche von 5.000 m² im Hauptmagazin, 1.000 m² im Außenmagazin und in einem Neubau werden die wertvollen Unterlagen gesammelt und sicher aufbewahrt. Das Archiv zählt rund 1.600 Bestände, 49 Verlagsarchive, über 450.000 Bilder und Objekte sowie über 61.000 Audio-Dateien. Darüber hinaus widme sich das Archiv der Forschung und ziele mit einem speziellen Kinder- und Jugendprogramm auf die Vermittlung von Literatur an die junge Generation.

Referentin
Sandra Richter ist Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Stuttgart und Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Nach dem Studium der Germanistik, Politikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie promovierte sie mit einer Arbeit über die Hugenotten als Literaturvermittler im 18. Jahrhundert. In Hamburg erfolgte ihre Habilitation über Poetiken von Novalis bis Rilke.

39. Bertha-Benz-Vorlesung
16. Juli 2024
Foyer der SRH Hochschule
Heidelberg


Referentin:
Prof. Dr. Sandra Richter
Direktorin
Deutsches Literaturarchiv Marbach