Florian Lüttner, Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik
© Fraunhofer EMI
Trotz rückläufiger Unfallzahlen sterben in Deutschland jedes Jahr noch immer über 3.000 Menschen im Straßenverkehr. Es liegt im Interesse aller, diese Zahl weiter zu senken und zugleich die Schwere von Unfällen zu mindern. Das autonome Fahren kann in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Beitrag leisten. Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut (EMI), arbeiten an prognosefähigen Verkehrssimulationen, die die steigende Komplexität des Straßenverkehrs durch automatisierte Fahrfunktionen berücksichtigen.
Statistisch gesehen müsste ein autonomes Testfahrzeug über zwei Milliarden Kilometer auf bundesweiten Straßen zurücklegen, um lediglich einen 50-prozentigen Nachweis zu erbringen, dass es nur halb so viele Unfälle wie ein menschlich gesteuertes Fahrzeug verursacht. Da solche Testverfahren extrem zeitaufwändig und teuer sind, spielt die Entwicklung prognosefähiger Verkehrssimulationen eine zentrale Rolle. Deswegen hat die Daimler und Benz Stiftung über einen Zeitraum von drei Jahren ein Forschungsprojekt am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut (EMI), unter der Leitung von Florian Lüttner gefördert: „Verkehrssimulationsmodell als Grundlage für die Prognose von Verkehrsunfallstatistiken im zukünftigen Verkehrsgeschehen“.
Daten und Ziele
Die Forscher erstellten zunächst eine valide Datenbasis, die den realen Straßenverkehr mit seinen relevanten Szenarien statistisch erfasst – kritische Situationen und Unfälle spielen dabei eine besondere Rolle. Auf dieser Grundlage lassen sich Simulationsmodelle daraufhin untersuchen, wie genau sie das reale Verkehrsgeschehen nachbilden und je nach Szenario optimieren. Parallel dazu wurden vorhandene Modelle, die Verkehrsflüsse simulieren, auf ihre Eignung hin untersucht und entsprechend weiterentwickelt. Wichtigstes Ziel der Forscher war es, ein Optimierungsverfahren zu generieren, das die Simulationsumgebung automatisch an die beobachteten Daten anpassen kann.
Kritische Szenarien
Ein besonderes Augenmerk lag auf kritischen Verkehrsszenarien: Während generell umfangreiche Informationen über den normalen Straßenverkehr und das tatsächliche Unfallgeschehen vorliegen, sind für den kritischen Übergangsbereich – also Szenarien, in denen drohende Unfälle abgewendet werden – kaum Daten verfügbar. Allerdings bilden gerade diese eine wesentliche Voraussetzung, um realistische Verkehrsflusssimulationen durchzuführen. So entwickelten die Forscher ein flexibles System, das mithilfe eines einzigen Zahlenwerts abbildet, ob und wie kritisch eine Verkehrssituation tatsächlich ist. Dadurch ist es nun möglich, gefährliche Szenarien aus den wenigen verfügbaren Datenquellen zu identifizieren.
Optimierung für die Zukunft
Während des dreijährigen Förderzeitraums konnte schließlich ein sogenanntes automatisiertes Optimierungsverfahren realisiert werden, das bereits für einfache Szenarien angewandt wird. Im Vergleich zu bisherigen Optimierungsansätzen ließ sich die benötigte Rechenzeit um den Faktor vier verkürzen. Dies gelang dank Datenanalyse und Vorprozessierung, und zwar bevor die eigentliche Optimierung durchgeführt wird. Dabei werden die aus den Daten ableitbaren Simulations-größen – etwa Verkehrsvolumen, Fahrzeugklassen oder Fahrertypen – direkt identifiziert.
Mit den Ergebnissen des Förderprojekts rückt das Ziel näher, allein aus der Beobachtung und Analyse von Verkehrssituationen die Wahrscheinlichkeit für Unfälle verlässlich, zeit- und kosteneffizient vorherzusagen; sowohl im konventionellen Straßenverkehr als auch im Mischverkehr mit autonomen Fahrzeugen. Die Forschung wird auch nach Abschluss des Förderprojekts fortgesetzt: Als neuen Aspekt sollen insbesondere vulnerable Verkehrsteilnehmer, wie Radfahrer und Fußgänger, in der Simulation von innerstädtischem Verkehr berücksichtigt werden.