Markus Maurer
TU Braunschweig
Institut für Regelungstechnik
Wie sich automatisierte Fahrzeuge im alltäglichen Straßenverkehr verhalten sollen, wirft ethische Fragen auf. Seit Jahren werden in der Öffentlichkeit bereits zahlreiche Aspekte diskutiert, wobei die dabei häufig herangezogenen Dilemmasituationen wenig hilfreich sind. Als Gedankenexperimente eignen sie sich lediglich dazu, ein Bewusstsein für die Rolle ethischer Fragestellungen bei der Entwicklung automatisierter Fahrzeuge zu schaffen. Entwickler müssen in ihrer täglichen Arbeit stattdessen konkrete ethische Fragestellungen auflösen. All diesen Themen widmen sich Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig im Förderprojekt „Wertebasierte Verhaltensentscheidung“ unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Maurer vom Institut für Regelungstechnik.
Automatisierte Fahrzeuge werden sicherer sein als menschliche Fahrer – dieses Versprechen wird häufig gegeben, wenn es um die Einführung automatisierter Fahrzeuge in den öffentlichen Straßenverkehr geht. Aber welche Herausforderungen stehen dahinter und inwieweit ist dies unter den technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen überhaupt realisierbar? Die dringend notwendigen Diskussionen beginnen bereits mit der Frage, was die von der Technologie betroffenen Protagonisten unter dem Begriff „Sicherheit“ verstehen.
In der öffentlichen Kommunikation zu automatisierten Fahrzeugen wird teilweise eine sogenannte „Vision Zero“-Erwartungshaltung erzeugt. Dies suggeriert, dass die Technologie in der Lage sei, sämtliche Risiken auszuschließen und einen unfallfreien Verkehr zu ermöglichen. Techniker definieren „Sicherheit“ hingegen durch die „Abwesenheit unzumutbarer Risiken“. Von automatisierten Fahrzeugen wird immer ein gewisses Restrisiko ausgehen, das zwar gemindert, aber nicht vollständig eliminiert werden kann. Wie dieses Restrisiko aussehen darf, kann nicht allein durch Ingenieure beantwortet werden. Vielmehr wird eine ausgewogene Debatte über die Chancen und Risiken der Technologie benötigt, die die Belange und Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. Ein Ziel des Förderprojekts ist es, genau diese Diskussion zu führen.
Die angesprochenen Restrisiken gehen auf eine Reihe von Unsicherheiten zurück, die nicht spezifisch auf die technischen Systeme, sondern auf das Verkehrssystem als Ganzes zurückzuführen sind. Theoretisch kann alles zu jeder Zeit geschehen: Verkehrsteilnehmer halten sich nicht an Regeln, Personen treten aus verdeckten Bereichen auf die Fahrbahn, Radfahrer stürzen unerwartet. Nicht zuletzt verändert sich das Verkehrssystem fortwährend; ein Beispiel sind E-Scooter, die als neue Verkehrsteilnehmer hinzukamen.
Es lassen sich niemals alle Eventualitäten, mit denen ein automatisiertes Fahrzeug im Verkehr umgehen können muss, vorhersehen oder testen – auch nicht bei gewissenhaftester Entwicklung. Die Spezialisten müssen daher in ihrer täglichen Arbeit Annahmen über mögliche Situationen treffen, denen das Fahrsystem im realen Verkehr begegnen kann. Diese Annahmen haben einen direkten Einfluss auf das vom System ausgehende Restrisiko und sollten daher auch mit den betroffenen Stakeholdern diskutiert werden.
Am Institut für Regelungstechnik werden im Rahmen des Förderprojekts „Wertebasierte Verhaltensentscheidung“ Ansätze erforscht, die das von automatisierten Fahrzeugen ausgehende Risiko nachvollziehbar beschreiben. Die Wissenschaftler nutzen dafür etablierte Methoden der Systemtechnik sowie semantische Netze, die bestehendes Expertenwissen für ein technisches System zur Verfügung stellen. Der Schwerpunkt liegt auf der klaren Beschreibung der getroffenen Annahmen und der sich daraus ergebenden Risiken im Straßenverkehr. So leisten die Forscher einen wichtigen Beitrag zur transparenten Kommunikation der Sicherheit automatisierter Fahrzeuge im Rahmen einer wertebasierten Entwicklung.