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Treffen der Stipendiaten, Fellows und Alumni 2024

 

Vom 3. bis 6. Oktober 2024 trafen sich rund 30 derzeit geförderte und ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten der Daimler und Benz Stiftung in Breslau (polnisch Wrocław), Polen. Neben gemeinsamen Ausflügen stand insbesondere der interdisziplinäre Austausch im Vordergrund.

Während am Anreiseabend bei einem gemütlichen Abendessen der Schwerpunkt noch auf dem Kennenlernen und Netzwerken gelegen hatte, startete der Freitag mit einer Führung durch das historische Breslau und dessen Universität, die insbesondere durch ihre prunkvolle Aula Leopoldina und ihr Museum das Interesse der Teilnehmer wecken konnte. Gestärkt durch das gemeinsame Mittagessen mit der polnischen Spezialität Piroggen versammelte man sich im Anschluss zu Vorträgen der Alumni und Stipendiaten in einem Hörsaal der Fakultät für Recht, Verwaltung und Wirtschaft [der Universität], die auf die im Jahr 1811 gegründete Preußische Rechtsschule zurückgeht. Von besonderem Interesse war der Gastvortrag von Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien und Lehrstuhlinhaber für Zeitgeschichte an der Universität Breslau, der über Beziehung zwischen Deutschland und Polen nach Ende des Zweiten Weltkriegs referierte. Den Abendvortrag hielt Prof. Dr. Piotr Ponikowski, ein international renommierter Kardiologe und Rektor der Medizinischen Universität Breslau, der mit über 700 hochrangigen wissenschaftlichen Publikationen eine eindrucksvolle akademische Laufbahn vorweisen kann. Den Abend ließ die Reisegruppe dann im Restaurant Marina am Yachthafen der Oderinsel ausklingen (Zusammenfassungen der Vorträge siehe unten).

Die für den nächsten Tag angedachte Schifffahrt auf der Oder musste wegen der noch anhaltenden Überschwemmungen in Polens westlichen Regionen leider sprichwörtlich ins Wasser fallen. Doch die gut gelaunten Teilnehmer ließen sich die Stimmung nicht verderben; kurzerhand wurde mit kleinen Elektrobussen eine Rundfahrt durch Breslau anberaumt, zu deren Höhepunkten die Besichtigung der Jahrhunderthalle sowie des Japanischen Gartens gehörte. Nach einer Mittagspause, die den Reisenden zu Stadtbummel, Shopping und weiteren Freizeitaktivitäten zur Verfügung stand, ließ die Gruppe das Jahrestreffen schließlich im urigen Restaurant Karczma Lwowska ausklingen.

Mit neuen Bekanntschaften und bleibenden Eindrücken ausgerüstet, traten die Teilnehmer dann am Sonntag, den 6. Oktober die Heimreise an. Die Stiftung möchte sich insbesondere für das große persönliche Engagement unseres Stipendiaten Dr. Łukasz Jędrzejowski bedanken, dessen unermüdlicher Einsatz bei der Vorbereitung und Durchführung das Treffen zu einem schönen und denkwürdigen Erlebnis gemacht hat.

Die EU sowohl effizienter als auch demokratischer machen: Ein Reformvorschlag im Zusammenhang mit der Debatte über weitere Erweiterungen
In seinem Vortrag zeigte Prof. Dr. Joachim Blatter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern, dass die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union immer wieder eingeschränkt wird, insbesondere durch das Vetorecht, das unter anderem der Furcht kleinerer Staaten vor Dominanz durch größere Staaten Rechnung trägt. Motiviert durch die wiederkehrenden Diskussionen zur Steigerung dieser Handlungsfähigkeit bei wachsender Mitgliederzahl, stellte Joachim Blatter einen Reformvorschlag als Alternative zu diesem Vetorecht vor. Sein Vorschlag basiert auf der Idee, dass Staaten zulassen, dass ein kleiner Anteil ihrer Parlamentarier durch Bürger anderer Staaten gewählt wird. Damit sollen in diesen Staaten Parteien und Ideen gestärkt werden, die die Interessen der anderen Staaten stärker berücksichtigen. Auf diese Weise soll jeder Staat die Möglichkeit bekommen, Einfluss zu nehmen auf die Politik in einer festgelegten Anzahl von anderen Staaten, deren Entscheidungen ihm am relevantesten erscheinen. Joachim Blatter verspricht sich von diesem Ansatz unter anderem einen stärkeren übernationalen Interessensausgleich bereits auf nationaler Ebene sowie die Möglichkeit, Fehlentwicklungen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auf nationaler Ebene durch demokratische Prozesse entgegenzuwirken.

Polyvalente Gärten: Deutsches Drama und europäische Landschaftsarchitektur um 1800
Dr. Anna Axtner-Borsutzky vom Institut für Deutsche Philologie der LMU München eröffnete das akademische Programm mit einem Vortrag über die Verbindungen von gärtnerischer Landschaftsgestaltung und dem Theater in Deutschland am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Dabei verdeutlichte sie, dass beide Bereiche aufgrund des wachsenden bürgerlichen Selbstbewusstseins großen Veränderungen unterlagen, die sich in dem Übergang von formalen französischen Barockgärten zu naturnäheren englischen Landschaftsgärten bzw. in der Hinwendung des Dramas von höfischen zu mehr bürgerlichen Themen ausdrückten. Beide Entwicklungen standen außerdem in einer engen Wechselbeziehung, weil Gärten und Parks in den Dramentexten einerseits als zentrale Handlungsorte in den Mittelpunkt rückten und die Aufführungspraxis andererseits zunehmend auf Inszenierungen im Freien setzte. Wie Anna Axtner-Borsutzky an mehreren Beispielen herausarbeitete, erlaubt das Drama mehr als andere Kunstformen, die unterschiedlichen Perspektiven der handelnden Personen etwa auf die Eingrenzung bzw. Offenheit oder die Künstlichkeit bzw. Naturnähe der Gartenumgebung gegenüberzustellen und auf diese Weise eine Abwechslung zu schaffen, die auch die Wahrnehmung des Zuschauers herausfordert und infrage stellt.

Der lange Schatten des Krieges: Die deutsch-polnischen Beziehungen in Schlaglichtern
In einem gleichermaßen spannenden wie informativen Vortrag analysierte Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien und Lehrstuhlinhaber für Zeitgeschichte an der Universität Breslau, die Beziehung zwischen Deutschland und Polen nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Dabei wurden die Schlaglichter insbesondere auf die Nachkriegszeit, die Wendezeit sowie aktuelle Entwicklungen geworfen.

Der Zweite Weltkrieg stellte den Tiefpunkt der deutsch-polnischen Beziehungen dar. In der Folge kam es durch Gebietsabtretungen an die UdSSR, aber auch durch die Vertreibung von mehr als 3,5 Millionen Deutschen und den Zuspruch der ehemals deutschen Gebiete östlich der Oder und der Lausitzer Neiße zu einer territorialen Neuordnung Polens. Die Frage von eventuellen Entschädigungen, die in dieser Zeit, so zumindest die Sicht der BRD, durch eine Verzichtserklärung Polens 1953 geklärt worden war, kam in den darauffolgenden Jahrzehnten jedoch immer wieder auf und ist bis heute ein vorherrschendes Politikum in Polen.

In den 1960er-Jahren, zuvor beherrscht durch die Ost-West-Spaltung der Nachkriegszeit, kam es im Zuge der von der westdeutschen SPD vertretenen neuen Ostpolitik zu einer Änderung der Verhältnisse. Willy Brandts berühmter Kniefall in Warschau 1970 und die damit verbundene Unterzeichnung eines Normalisierungsabkommens markierte jedoch den Anfangspunkt einer schrittweisen Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses.

Als Durchbruch für die deutsch-polnischen Beziehungen sieht Krysztof Ruchniewicz das Ende der sowjetischen Vorherrschaft in Mittelosteuropa. Im Sommer 1989 wurde in Polen wurde die erste, nicht von einem Kommunisten geführt Regierung gebildet. Zu dieser Zeit begann eine Fluchtwelle aus der DDR, die im Zuge dessen zusammenbrach. In dieser Atmosphäre reiste der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl im November nach Polen. Gemeinsam mit dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki fand am 12. November 1989 ein ökumenischer Gottesdienst statt, bei dem sich die beiden Staatsoberhäupter das Friedenszeichen gaben und sich herzlich umarmten. In der Folge wurde am 14. November 1990 wurde ein Grenzvertrag geschlossen und am 17. Juni 1991 der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet. Dieser Vertrag zwischen Polen und dem nun wiedervereinigten Deutschland beendete nicht nur den langjährigen Streit über den endgültigen Verlauf der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße, sondern legte auch den Grundstein für eine immer engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten.

Der Nachbarschaftsvertrag, der viele Fragen wie z. B. hinsichtlich des Status der deutschen Minderheit und des deutschen Erbes in Polen klären konnte, führte auch dazu, dass die BRD Polen beim Anschluss an westliche Strukturen (NATO, EU) zur Seite stand. Allerdings wurde das Verhältnis weiterhin durch Fragen belastet, die bis dahin ignoriert oder zunächst aufgeschoben worden waren. Um die Jahrtausendwende zeigten sich so die ersten Dissonanzen, nicht zuletzt in Fragen des Zweiten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen. Vor allem Forderungen einiger Vertriebener nach Entschädigung für verlorenes Eigentum lösten eine Welle der Empörung aus. Beruhigt wurde die Situation durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der betonte, keine deutsche Regierung wolle die Manipulation von Geschichte und Eigentumsansprüchen gegen die Opferstaaten Hitlers unterstützen. Eine weitere Krise in den deutsch-polnischen Beziehungen gab es zwischen 2005 und 2007, die diesmal mit dem Rechtsruck in Polen zusammenhing – die erste Regierung von Recht und Gerechtigkeit (PiS) kam an die Macht. Die führenden Politiker dieser Formation, Präsident Lech Kaczyński und sein Bruder Jarosław, distanzierten sich zunehmend von Deutschland. Sie stellten historische Ressentiments und Vorurteile über eine gutnachbarschaftliche und freundschaftliche Politik gegenüber Berlin. Diese Phase war jedoch nur von kurzer Dauer und endete mit dem Sieg der liberalen Opposition unter Führung der Bürgerplattform bei den Wahlen im Herbst 2007. Polen wurde zu einem wichtigen Akteur auf europäischer Ebene. Es wuchs langsam aus seiner Rolle als Schützling Berlins heraus.

Wissenschaftliche Kreativität im Schatten des Urheberrechts
Der Vortrag „Wissenschaftliche Kreativität im Schatten des Urheberrechts“ von Prof. Dr. Hanjo Hamann von der EBS Universität für Wirtschaft und Recht fesselte alle Anwesenden, war und ist doch jeder Einzelne betroffen. Besonders interessant war die Diskussion üblicher Verlagsverträge, der Umgang des Autors mit bereits publizierten Ergebnissen und „Open Access“: Was ist dem Autor nach der Veröffentlichung seines Beitrags noch erlaubt und wie kann er seine Ergebnisse weiter verwerten? Hier wurde empfohlen, die den Autoren auferlegten Einschränkungen eher eng auszulegen. Zudem sollte man das im Urhebergesetz festgeschriebene Zweitverwertungsrecht für sich nutzen.

Einen weiteren Vortragsschwerpunkt bildete der Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) und wie die Verarbeitung der eigenen Ergebnisse durch KI eingeschränkt werden kann. Verwundert nahmen die meisten Anwesenden zur Kenntnis, dass Nutzungsvorbehalte bei online zugänglichen Werken unbedingt in maschinenlesbarer Form erfolgen müssen. Es reicht nach dem Urheberrechtsgesetz nicht aus, diese nur verbal zu erklären. Die KI wertet zwar natürliche Sprache aus, ein Verbot dieser Auswertung für maschinelles Lernen muss aber über einen digitalen Code erfolgen. Neue Gerichtsurteile gehen hier schon weiter und die Faktenlage ändert sich ständig. Der juristische Exkurs war für alle Teilnehmer gerade auch für die eigene Tätigkeit sehr lehrreich.

Wissenschaft braucht Mut: Meine persönliche Geschichte über das Hinterfragen von Paradigmen, Beharrlichkeit und glückliche Fügungen
Abgerundet wurde das Vortragsprogramm durch den Abendvortrag von Prof. Dr. Piotr Ponikowski, dem Rektor der Medizinischen Universität Breslau. Im Rahmen seines Vortrags zeigte der renommierte Kardiologe, wie wichtig es ist, in der Wissenschaft über den Tellerrand zu schauen und das Selbstverständliche aus einer anderen Perspektive zu betrachten, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Ausgehend von René Descartes’ Abhandlung über die Methode, richtig zu denken und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen (1637), skizzierte Piotr Ponikowskiausgewählte Meilensteine der modernen Kardiologie. Zu den Errungenschaften, die in der Geschichte der Humanmedizin Werner Forßmann zugeschrieben werden, gehört vor allem die erste Herzkatheterisierung: eine Untersuchungsmethode des Herzens über einen Katheter, die er an sich selbst durchführte und die mit Röntgenbildern dokumentiert wurde. Ponikowski wies darauf hin, dieser Meilenstein sei nur dadurch zu erreichen gewesen, dass Werner Forßmann zur damaligen Zeit etwas Ungewöhnliches gewagt hatte, indem er die Herzkatheterisierung von Haustieren auf Menschen übertrug.

Piotr Ponikowski gab zudem einen Überblick über die größten Herausforderungen im Bereich der Pathophysiologie der Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. Eine der Herausforderungen bildet die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien für die Behandlung von Herzkrankheiten. Ähnlich wie im Bereich der Onkologie benötigen wir auch im Bereich der Kardiologie eine individualisierte Medizin, die das Ziel verfolgt, für jeden Patienten das höchstmögliche Maß an therapeutischer Wirksamkeit zu erzielen und gleichzeitig Nebenwirkungen zu minimieren.