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Abschied vom Filmhelden und die Summe subjektiver Wahrheiten

 
 

Da aufgrund der COVID-19 Pandemie die Reihe der jährlich stattfindenden Treffen der Alumni und Stipendiaten nicht stattfinden konnte und vor dem Hintergrund der guten Resonanz auf das erste online durchgeführte Treffen im Juni 2020 entschied sich der Verein der Alumni und Stipendiaten zu weiteren Treffen dieser Art. Am 13. Juli 2020 referierte Dr. Christina Kallas über ihre Arbeit und ihren Werdegang.

Anlässlich der zweiten virtuellen Zusammenkunft der Stipendiaten in diesem Jahr berichtete die Autorin und Filmregisseurin Dr. Christina Kallas über ihre Arbeit und über ihre spezielle Art, Geschichten zu erzählen. Kallas, gebürtige Griechin, studierte in Deutschland Film- und Musikwissenschaften. Gefördert von der Daimler und Benz Stiftung promovierte sie 1992 in Filmwissenschaften an der Freien Universität Berlin und arbeitete danach für Film und Fernsehen. Sie war eine der Autorinnen der bei Sat.1 ausgestrahlten TV-Serie „Edel & Starck“ und schrieb das Drehbuch zu dem im offiziellen Wettbewerb der Berlinale uraufgeführten Spielfilm „The Commissioner“ und zu mehreren Folgen der unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Deutschen Comedypreis ausgezeichneten Serie „Danni Lowinski“, die ebenfalls bei Sat.1 zu sehen war. Von 2006 bis 2009 war sie ordentliches Mitglied der Auswahlkommission und Vorsitzende der Drehbuchkommission der Filmförderungsanstalt (FFA) und stand der Federation of Screenwriters in Europe (FSE) von 2006 bis 2014 als Präsidentin vor. Kallas unterrichtete an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), an der Internationalen Filmhochschule Köln (ifs) und verfasste mehrere Bücher zum Thema Drehbuchschreiben.

Seit 2011 lebt Kallas in New York und arbeitet dort als Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin: „Das Leben hier entsprach dem, was mich am meisten interessiert hat: die Diversität, die Internationalität und die Möglichkeit, von hier aus die ganze Welt ansprechen zu können.“ Als Jurymitglied und Head of Jury bei verschiedenen internationalen Filmfestivals wie dem St. Louis International Film Festival, dem Fusion Film Festival New York, dem Athena Film Festival und dem Slamdance Film Festival ist ihre Expertise sowohl in den USA als auch in Europa sehr gefragt. Zudem unterrichtet Kallas Drehbuch und Regie u. a. an der New York University, der Columbia University, der Feirstein Graduate School of Cinema und an der School of Visual Arts in New York City.

In New York sei sie den Schritt zum Autorenfilm gegangen, dort habe sie ihre ganz eigene Stimme, ihre „signature“ gefunden. Mittlerweile arbeitet Kallas an ihrem dritten Film, dessen Drehbuch sie geschrieben und bei dem sie Regie geführt hat. Diese von der amerikanischen Kritik als „Gun Trilogy“ bezeichneten drei Filme sind „42 Seconds of Happiness“ (2016), „The Rainbow Experiment“ (2018) und „Paris is in Harlem“, der sich gerade in der Postproduktion befindet.

Aufgrund ihrer vielen Wohnortwechsel in unterschiedlichen Ländern habe sie sehr früh den Blickwinkel eines Außenseiters gehabt, was sich auch auf die Art und Weise, Geschichten zu erzählen, niedergeschlagen habe. „Üblicherweise wird die Geschichte eines Helden erzählt, üblicherweise ist ein Film konzentriert auf eine Figur, den sogenannten Protagonisten.“ Geleitet von der Idee, dass die Wahrheit die Summe vieler Perspektiven bzw. dass die Wahrheit die Summe subjektiver Wahrheiten ist, arbeitet Kallas in ihrer filmischen Erzählweise daran, „zeitgleich diese verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen und zu erkennen“. Sie wende dabei eine von ihr entwickelte Technik an, die sogenannte „emotionale Struktur“. Die drei Filme ihrer „Gun Trilogy“ seien alle multiperspektivisch und erzählen ein Ereignis aus verschiedenen Blickwinkeln der Figuren, was dazu führe, dass die perspektivische Vielfalt ganz unterschiedliche Empfindungen des Geschehenen zulasse.

Die durch die COVID-19-Pandemie verursachte Krise, die ihre Branche besonders hart trifft, begreift Kallas auch als Chance. Sie sehe aktuell eine verstärkt geforderte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in allen Bereichen, die das Spezialistentum zurückdränge. Die Pandemie erfordere auf einmal wieder eine Hinwendung zur Weite des Denkens, zum Generalistentum. Das gleichzeitige Wahrnehmen von verschiedenen Perspektiven sei auch in der Wissenschaft noch wichtiger geworden. Dies werde auch die narrativen Strukturen hin zu einem nicht-linearen Erzählen verändern: „Es gibt diese alte Denkweise, dass eine Geschichte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Gerade erleben wir ein ganz anderes Gefühl von Zeit. Wir fangen an, Zeit anders zu empfinden. Und wer weiß: Vielleicht sind Anfang, Mitte und Ende in den Geschichten der Zukunft gleichzeitig da.“

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