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Wir sind nicht allein. Wie Mikroben im Darm unser Leben beeinflussen

 

Das am dichtesten besiedelte Ökosystem des Planeten liegt mitten in uns – in unserem Darm. Gleichbleibend warm, feucht und mit verlässlicher Nahrungszufuhr versorgt, erweist sich dieser Lebensraum geradezu als ein Paradies für Mikroorganismen. 108 Bakterien leben in unserem Dünndarm, 1013 besiedeln unseren Dickdarm. Und in nur 100 Gramm Stuhl finden sich rund 1012 Billionen Bakterien.

Rund 300 Besucher kamen am 4. Februar in Mercedes Benz-Museum nach Stuttgart, um im Rahmen der Reihe „Dialog im Museum“, die die Daimler und Benz Stiftung gemeinsam mit der Daimler AG und dem Mercedes-Benz Museum organisiert, den Vortrag „Wir sind nicht allein. Wie Mikroben im Darm unser Leben beeinflussen“ von Prof. Dr. Dirk Haller zu hören. Haller, Lebensmittelmikrobiologe und Ernährungswissenschaftler, hat an der TU München den Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie inne und leitet das Zentralinstitut für Food & Health. Für seine Forschungsarbeit wurde er mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Welche Menge an Stuhl der Körper ausscheidet, hängt von den individuellen Ernährungsgewohnheiten ab, insbesondere von der Menge an Ballaststoffen, die wir zu uns nehmen. Bei einem Elefanten macht der Darminhalt immerhin 550 Kilogramm aus, dies entspricht etwa 12 % seines Körpergewichts.

Die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln, bezeichnet man als Mikrobiom. „Was die aktuelle Mikrobiom-Forschung angeht, so begegnen uns in der öffentlichen Diskussion derzeit viel Spekulationen und wenig empirische Erkenntnisse“, so Haller. „Dennoch handelt es sich um ein Forschungsgebiet, in dem derzeit extrem viel in Bewegung ist und das in den nächsten Jahren einiges an neuen Erkenntnissen für uns bereithalten dürfte.“ Was derzeit als gesichert gelten könne, sei der Zusammenhang zwischen dem Stuhlgewicht und dem Risiko, an Darmkrebs zu erkranken: „In Zentralafrika, wo sich die Menschen von faserreichen Pflanzen ernähren, gibt es quasi keinen Dickdarmkrebs. Während Menschen in Uganda täglich durchschnittlich 470 Gramm ausschieden, sind es in Schottland nur rund 72 Gramm.“

Erstmals beschrieben wurden Bakterien von dem niederländischen Naturforscher Antoni von Leeuvenhook im Jahre 1675, der mithilfe eines Lichtmikroskops – etwa im Regenwasser oder im menschlichen Speichel – sogenannten „Animalcules“, also „kleine Tierchen“, beobachtete. Welchen weitreichenden Einfluss solche Miniorganismen auf den Menschen haben können, erkannte Robert Koch 1882, als er den Erreger der Tuberkulose identifizierte. „Seitdem ist die Infektionsmikrobiologie als Forschungsgebiet für uns selbstverständlich geworden. Dass wir den Einfluss nicht pathogener Mikroorganismen in Hinsicht auf ihre gesundheitliche Bedeutung wissenschaftlich untersuchen, ist hingegen relativ neu“, stellte Haller fest. Während zum Thema „Mikrobiom“ 2007 insgesamt 2033 Fachartikel publiziert wurden, stieg Zahl dieser Publikationen auf 45.000 im Jahr 2018 an.

Als Immunorgan besitze der Darm allein aufgrund seiner riesigen Oberfläche und dem dadurch resultierenden direkten Kontakt mit zahlreichen Krankheitserregern eine hervorgehobene Stellung. Derzeit würden zahlreiche Erkrankungen mit dem Zustand des individuellen Mikrobioms in Verbindung gebracht: Von Morbus Crohn über Asthma, bis hin zu Adipositas, Demenz oder Alzheimer. „Hier ist allerdings allergrößte Vorsicht angebracht, nur wenigen gesicherten Erkenntnissen stehen zahlreiche Hypothesen gegenüber“, so Haller. „Was Übergewicht angeht, so sind es aus unserer Sicht wohl nicht die Bakterien, sondern mangelnde Bewegung und falsche Ernährung, die den entscheidenden Einfluss haben. Ein ganz neues Forschungsgebiet eröffnet die Frage, wie Bakterien Medikamente verstoffwechseln; hier sind in den nächsten Jahren ganz wesentliche neue Erkenntnisse zu erwarten.“

Auffällig sei, dass sich erst im Zuge der Industrialisierung in vielen Ländern chronisch entzündliche Erkrankungen massiv ausgeweitet hätten. So habe die Erkrankungsrate bei Morbus Crohn, einer besonderen Form der Darmentzündung, im Jahre 1960 bei zwei Fällen pro 100.000 Einwohner gelegen. Bis 1980 seien es bereits sechs und ab 2008 rund 30 Patienten pro 100.000 Individuen gewesen – mit einer starken Häufung in Nordamerika und Europa. „Lebensstil und Mikrobiom hängen, so unsere Vermutung, eng zusammen, aber wenn wir uns die Frage stellen, was ein normales, was ein gesundes Mikrobiom ist – dann wird es bereits schwierig“, so Haller. „Was wir herausgefunden haben ist, dass die Zusammensetzung unseres Mikrobiom über den Tag hinweg oszilliert. Es kommt also immer auch auf den Zeitpunkt einer Probenentnahme an, welche Bakterien wir in welcher Häufigkeit finden.“ Patienten mit einem Typ2-Diabetes scheinen eine solche Fähigkeit zu einer feinen gleichmäßigen Schwankung verloren zu haben, ihr Mikrobiom zeigt einen Zickzackverlauf über den Tag hinweg. Zeitweilige Veränderungen im Mikrobiom seien auch nach der Einnahme von Probiotika, also Nahrungsmittel, die lebende Mikroorganismen enthalten, oder nach Weihnachten messbar, wenn sich sowohl der Tagesrhythmus als auch die Ernährung veränderten.

Weitgehend unerforscht sei derzeit noch die Möglichkeit, Patienten durch Stuhlübertragungen zu heilen. Zwar wurde bereits nachgewiesen, dass gesunde Mäuse durch den Stuhl von an Morbus Crohn erkrankten Tieren ebenfalls erkranken können. Auch könne der Stuhl von Menschen in einer akuten Entzündungsphase gesunde Mäuse erkranken lassen. Eine solche Übertragung von Mensch zu Maus finde allerdings nicht statt, wenn sich die Patienten in einer inaktiven Phase ihrer Erkrankung befänden. Auf eine therapeutische Stuhltransplantation sprechen auch einige Diabetes-Patienten an. „Erstaunliche Erfolge sehen wir bei Patienten, die sich im Krankenhaus mit resistenten Keimen infiziert haben und deren Immunsystem bereits durch Antibiotika stark geschwächt wurde“, so Haller. „Diesen Patienten Stuhl von gesunden Menschen zu implantieren, zeigt außerordentliche therapeutische Erfolge und könnte in Zukunft weltweit viele Leben retten.“ Derzeit tue sich der Gesetzgeber noch schwer, neue Stuhlmedikamente zuzulassen, wofür man aber Verständnis aufbringen müsse, denn eine genaue Risikobewertung liege letztlich im Interesse der Patienten.

Referent
Prof. Dr. Dirk Haller promovierte in Lausanne im Fachbereich Lebensmittelmikrobiologie und Ernährungswissenschaft. Es folgten Forschungsaufenthalte in der Schweiz und USA, bevor er als Nachwuchsgruppenleiter im renommierten „Emmy Noether-Programm“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an die Technische Universität München wechselte. Hier hat Haller seit 2008 den Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie inne und leitet das Zentralinstitut Food & Health. Für seine Forschung wurde er mit mehreren nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.
 

Dialog im Museum
04. Februar 2020
Mercedes-Benz Museum
70372 Stuttgart

Referent:
Prof. Dr. Dirk Haller
Technische Universität München