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Wie funktioniert das Denken?

 

„Als kognitive Neurowissenschaftler interessieren wir uns dafür, wie Denkprozesse im Gehirn realisiert sind“, erklärte Prof. Dr. Christian Doeller seine Disziplin. Der studierte Psychologe und Informatiker ist Direktor der Abteilung Psychologie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft. Vor allem das Gedächtnis fasziniere ihn, weil es als kognitive Kapazität so elementar sei: „Das Gedächtnis definiert im Prinzip, wer wir sind, denn wir leben in unseren Erinnerungen.“ In der Forschung unterscheide man zwei Arten von Gedächtnis: zum einen das räumliche Gedächtnis, das die Navigation in unserer Umgebung ermögliche, und zum anderen das episodische Gedächtnis, bei dem es um die Erinnerung von Ereignissen gehe. Wie solche Gedächtniseinträge entstehen, diese über die Zeit konsolidiert und schließlich wieder abgerufen werden können, das seien zentrale neurowissenschaftliche Fragestellungen.

Grundlegende Erkenntnisse aus dem Tiermodell
Der tief im menschlichen Gehirn sitzende Hippocampus ist die zentrale Gedächtnisstruktur des menschlichen Gehirns und benannt nach seiner einem Seepferdchen (lat. Hippocampus) ähnelnden Form. Welche Funktion der Hippocampus für die räumliche Navigation hat, zeigte Doeller anhand von grundlegenden Erkenntnissen, die die Hirnforschung aus Tiermodell-Versuchen mit Nagetieren (Ratten und Mäuse) gewinnen konnte. In einem klassischen Versuchsaufbau wird das in einem Raum navigierende Tier mit einer Kamera beobachtet, während zeitgleich die elektrische Aktivität von einzelnen Nervenzellen des Tieres abgeleitet wird. Dazu werden vor dem Versuch Elektroden operativ in das Gehirn des Tieres eingesetzt. „Auf diese Weise kann man zwei Dinge zusammenbringen: das Verhalten des Tieres bzw. dessen Position im Raum und parallel dazu die neuronale Antwort, um daraus Schlüsse für die neuronalen Grundlagen von Verhalten zu ziehen“, so Doeller.

Während das Tier navigiert, werden zwei zentrale Zelltypen aktiv, die sogenannten „Ortszellen“ (engl. place cells) des Hippocampus und die „Gitterzellen“ (engl. grid cells) des entorhinalen Cortex, einer dem Hippocampus benachbarten Gehirnstruktur. „Die Ortszellen haben die Funktion, Raum zu kartieren und bei der Wiedererkennung des Raums zu helfen. Die Gitterzellen bilden die Regelmäßigkeit in einer Umgebung ab und ermöglichen die Messung von Distanzen und Richtungen“, erläuterte Doeller. Zusammen mit weiteren Zelltypen des hippocampalen Systems bilden sie das Navigationssystem im Gehirn. Für die Entdeckung der place cells 1971 durch den britisch-US-amerikanischen Neurowissenschaftler John O’Keefe und der grid cells 2005 durch das norwegische Forscherpaar May-Britt und Edvard Moser erhielten die drei Wissenschaftler 2014 gemeinsam den Nobelpreis für Medizin.

Wie navigiert das menschliche Gehirn?
Die durch Tierforschung gewonnenen fundamentalen biologischen Erkenntnisse werden in der kognitiven Neurowissenschaft im Humanmodell exploriert. Doellers eigene Forschung konzentriert sich auf die Frage, wie räumliche Navigation, Gedächtnis und höhere kognitive Prozesse im menschlichen Gehirn funktionieren. Das Navigationssystem sei dabei ein elementarer Baustein von höheren kognitiven Funktionen. Dies führe schließlich zu der großen Forschungsfrage, ob es im menschlichen Gehirn ein Navigationssystem gebe, das es uns ermöglicht zu denken.

Dabei gehe es nicht nur um räumliche Navigation, sondern um die Informationsrepräsentation allgemein im menschlichen Gehirn. „Als kognitive Neurowissenschaftler denken wir, dass eine Repräsentation von Informationen in kognitiven Karten bzw. Räumen ein effizientes und biologisch plausibles Prinzip ist, um Information langfristig abzuspeichern“, so Doeller. Er nannte dazu folgendes Beispiel: Wenn man über Fahrzeuge neues Wissen erwerben wolle, könne man diese Information in einem zweidimensionalen (Wissens-)Raum repräsentieren und die Fahrzeuge darin nach den beiden Dimensionen Motorleistung und Gewicht anordnen.

Um die Gehirnaktivität zu messen, werden in der kognitiven Neurowissenschaft keine invasiven Ableitungen wie beim Tier gemacht, sondern für menschliche Probanden die nicht-invasive Methode der Magnetresonanztomographie (MRT) verwendet. „Dabei messen wir indirekt über den Blutfluss neuronale Aktivität, während der Proband im Scanner liegt und eine kognitive Aufgabe bearbeitet. Damit können wir genau wie im Tiermodell Verhalten mit der gleichzeitigen Ableitung von Gehirnaktivität zusammenbringen“, erläuterte Doeller das Verfahren. In Experimenten zur räumlichen Navigation werden Computerspiele eingesetzt, bei denen die Probanden in virtuellen Umgebungen navigieren. Virtuelle Realität werde auch als Technik benutzt, um in Experimenten Episoden, etwa alltägliche Erfahrungen, zu simulieren.

Beitrag zur Alzheimer-Forschung
Der Hippocampus als für die Gedächtnisnavigation elementare Region im Gehirn ist bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer betroffen. In Tiermodellen, welche die Krankheit auf biologischer Ebene simulierten, zeigte sich, dass das Navigationssystem weniger präzise funktioniert. Um sich die hierfür zuständigen Mechanismen auch beim Menschen anzuschauen, untersuchte Doellers Arbeitsgruppe junge Probanden, die ein erhöhtes genetisches Risiko aufweisen, an Alzheimer zu erkranken. Im Vergleich zur Kontrollgruppe war deren Gitterzellen-Signal im MRT reduziert. Dies sei keinesfalls als Symptomatik der Erkrankung zu interpretieren, sondern zunächst ein interessanter wissenschaftlicher Befund. Momentan werde noch daran gearbeitet, ob man vielleicht diese Ansätze zur Früherkennung von Alzheimer benutzen könne. „Ein großes Problem der Alzheimer-Erkrankung ist, dass sie zu spät erkannt wird. Und da setzen wir mit unserer Grundlagenforschung an“, so Doeller.

Neurowissenschaften und KI
Als Forschungsfeld der Zukunft nannte Doeller die künstliche Intelligenz (KI). Viele der elementaren KI-Modelle bzw. der künstlichen neuronalen Netzwerke seien durch biologische Prinzipien inspiriert. „Es ist ganz wichtig, Grundlagenforschung im KI-Bereich zu betreiben. Ich sehe ein großes Potenzial darin, KI zu benutzen, um neue Grundlagenerkenntnisse nicht nur in Biologie, Physik oder Materialwissenschaften, sondern auch in den Sozialwissenschaften zu erwerben“, betonte Doeller abschließend.

Referent
Prof. Dr. Christian Doeller studierte Psychologie und Informatik und wurde 2005 in Psychologie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken promoviert. Nach mehreren Auslandsaufenthalten ist er seit 2018 Direktor der Abteilung für Psychologie am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Seit 2023 ist er zudem Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft.
 

Dialog im Museum
03. Dezember 2024
19.00 Uhr

Referent:
Prof. Dr. Christian Doeller
Wissenschaftlicher Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, und Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft.