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„SIT TIBI TERRA LEVIS“ – Bestattungsriten und Jenseitsvorstellungen im Römischen Reich

 

Auf römischen Grabinschriften ist häufig ein Wunsch zu lesen, der im alten Rom den Verstorbenen mit auf den Weg ins Jenseits gegeben wurde: „SIT TIBI TERRA LEVIS“ („Möge dir die Erde leicht sein“). Diesen durch den römischen Epigrammatiker Martial (ca. 40–104 n. Chr.) zu Berühmtheit gelangten Wahlspruch stellte Dr. Andreas Hensen seinem Vortrag über römische Bestattungsbräuche und -rituale voran. Der Althistoriker und Archäologe leitet seit 2012 das Lobdengau-Museum in Ladenburg, eines der bedeutendsten Museen über die Römerzeit in der Rhein-Neckar-Region, und ist Lehrbeauftragter am Institut für Klassische Archäologie, am Institut für Ur- und Frühgeschichte und am Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik der Universität Heidelberg.

Im Verlauf seines Vortrags gab Hensen einen Überblick über verschiedene Aspekte des römischen Totengedenkens wie etwa die Überlieferung von Handlungen und Riten und die Gestaltung von Bestattungsplätzen. Anhand von Beispielen archäologischer Ausgrabungen informierte er über Bestattungsformen und Grabbeigaben; ferner erläuterte er, welche Informationen die Grabinschriften vermitteln. Die von Hensen herangezogenen literarischen und inschriftlichen Quellen und archäologischen Funde datieren hauptsächlich auf das 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. und stammen aus der Hauptstadt Rom, ihrer unmittelbaren Umgebung und aus den damaligen Rheinprovinzen. „Wir müssen uns bewusst machen, dass alle mit dem Totenkult in Verbindung stehenden Praktiken ihre Wurzeln in weit älteren Vorstellungen des Mittelmeerraumes, insbesondere in Ideen der griechischen Kultur, ihre Vorbilder haben und Akkulturationsprozessen unterworfen sind, die wir mit dem Wort ‚Romanisierung‘ umschreiben“, so Hensen.

Handlungen, Riten und Totenehrung
Auch wenn die in den Quellen vermittelten Bestattungsbräuche vor allem bei Personen der vermögenden und einflussreichen Schichten üblich waren, so galt für folgenden von Hensen skizzierten Ablauf eine gewisse Allgemeingültigkeit: „Lag ein Mensch im Sterben, so versammelten sich die nahen Angehörigen am Sterbebett. Nachdem man dem Verstorbenen die Augen verschlossen hatte, setzte die conclamatio ein, das laute Rufen des Namens des Verstorbenen. Dann wurde der Leichnam gewaschen, gesalbt, standesgemäß gekleidet und auf ein Paradebett (lectus funebris) gelegt. Die mehrere Tage dauernde Aufbahrung wurde von Totenwachen und Klageweibern begleitet. Am Tag der Beisetzung versammelte sich das Trauergefolge zum Trauerzug (pompa funebris). Auf einem öffentlichen Verbrennungsplatz (ustrina) wurde ein Holzstoß errichtet, der als Scheiterhaufen für das Totenbett diente. Geschirr mit Speisen, Gefäße mit Weihrauch, Behälter mit duftenden Salben und persönliche Gegenstände stellte man dazu. Ein naher Verwandter entzündete den Scheiterhaufen. Dessen Glut löschte man schließlich mit Wasser, Wein oder Milch. Nächste Verwandte, üblicherweise der Hausherr (pater familias), sammelten die Knochenreste in einem Gefäß oder Tuch (ossilegium). Nach der Deponierung der sterblichen Überreste in der Grabgrube nahmen die Angehörigen am offenen Grab ein Mahl ein (silicernium). Auch für den Toten wurde ein eigenes Speise- und Trinkgedeck bereitgestellt. Es folgte eine neuntägige Zeit der Trauer; beendet wurde diese wiederum mit einem Mahl am Grab (cena novendialis) und dem Reinigungsopfer (lustrum).“

Dass die Seelen der Verstorbenen nach römischer Vorstellung nun Teil des Reiches der Manen (di manes) wurden, die als wohlwollende Schutzgeister der Familie im Grab weiterlebten, hatte weitreichende Konsequenzen. Die Totengedenktage mussten durch feste Riten und Grabopfer beachtet werden. Versäumte man dies, so musste man damit rechnen, dass sich die Ahnen von den freundlichen manes zu den unzufriedenen lemures wandelten, die sich aus den Gräbern erhoben und ruhelos umherirrten. Diese konnten wiederum zu gefährlichen larvae mutieren, als Gespenster umherschweifen, die pflichtvergessenen Nachkommen erschrecken und sich an ihnen durch ernsthafte Schädigungen rächen.

Lage der Bestattungsplätze
Der im römischen Recht formulierte Grundsatz, dass ein toter Mensch innerhalb der Stadt weder bestattet noch verbrannt werden darf, galt bis in die Zeit der Christianisierung: „Die Nekropolen lagen also außerhalb der Städte und Siedlungen, allerdings nicht abgeschieden wie in unserer Zeit, sondern möglichst nah an den stark frequentierten Ausfallstraßen.“ Als Beispiel nannte Hensen die Grabmonumente an der Via Appia vor Rom, die Via dei Sepolcri vor den Stadtmauern von Pompeji oder in der südwestdeutschen Region den Friedhof des Municipium Arae Flaviae, des heutigen Rottweil am Neckar.

Bestattungsformen auf dem römischen Gräberfeld von Heidelberg
Am Beispiel der großen Nekropole von Heidelberg, die während der Erschließung des Heidelberger Universitätscampus im Neuenheimer Feld in den 1950er- und 1960er-Jahren archäologisch untersucht wurde und mit ca. 1.500 Bestattungen zu den besterhaltenen Nekropolen des Imperium Romanum zählt, zeigte Hensen, welche wissenschaftlichen Aussagen zu Bestattungs- und Grabriten aufgrund von Anlage und Ausstattung der Gräber und der Auswahl der Grabbeigaben abgeleitet werden können. Von 1999 bis 2009 leitete Hensen die interdisziplinäre Arbeitsgruppe an, die die Heidelberger Ausgrabungen im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) archäologisch auswertete.

„Für die römische Zeit war vor allem eines ganz wichtig: Die sterblichen Überreste mussten mit Erde bedeckt sein“, erläuterte Hensen und verwies in diesem Zusammenhang auf zwei Arten von Bestattungen: die Brandbestattung, bei der der Tote auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird, und die Körperbestattung mit der unverbrannten Beisetzung des Toten. Die Brandbestattung war bis in die Zeit der beginnenden Spätantike, bis zum 3. Jahrhundert n. Chr., die deutlich dominierende Bestattungsform, so auch in Heidelberg, wo sich 96 Prozent der 1.500 Gräber als Brandgräber darstellten. Die Körperbestattung dagegen galt als Bestattungsform für die ganz Armen, die sich das Holz für den Scheiterhaufen nicht leisten konnten, sowie für Neugeborene und Kleinkinder. „Im Laufe der Spätantike nahm die Sitte der Körperbestattung allmählich zu. Heute gibt es bekanntlich den umgekehrten Trend: Seit 100 Jahren erleben wir in Mitteleuropa eine allmähliche Abwendung von der Körperbestattung und eine stetig zunehmende Entscheidung für die Brand- bzw. Urnenbeisetzung. Die Motive, die hinter dieser Entwicklung stehen, sind vielfältig“, berichtete Hensen.

Referent
Dr. Andreas Hensen studierte Provinzialrömische Archäologie, Alte Geschichte sowie Ur- und Frühgeschichte. Seit 2006 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg und leitet seit 2012 das Lobdengau-Museum der Stadt Ladenburg.

Dialog im Museum
23. Mai 2023
Mercedes-Benz Museum
70372 Stuttgart

Referent:
Dr. Andreas Hensen
Lobdengau-Museum, Ladenburg