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Erfolgsfaktor Intelligenz: Ein Streifzug durch ein faszinierendes Forschungsgebiet der Psychologie

 

Was bedeutet es, intelligent zu sein? Intelligenz sei eine Art Erfolgsfaktor für den beruflichen und privaten Lebensweg, so stieg Prof. Dr. Spinath in seinen Vortrag ein. „Aber es gibt immer wieder Missverständnisse und Irrtümer bei der Definition, die ich gerne aufdecken möchte.“ Grundsätzlich könne man sagen, die Intelligenzforschung sei der Psychologie „liebstes Kind“. Dank der über 50-jährigen Forschungstradition gelten heutige Intelligenztests als zuverlässig und valide. Oftmals erwachse aus Ergebnissen der Intelligenzforschung jedoch eine gesellschaftspolitische Brisanz mit ideologischen Färbungen bis hin zu interdisziplinären Meinungsverschiedenheiten.

Die in unserer Gesellschaft weit verbreitete Ansicht, dass es unterschiedliche Arten von Intelligenz gibt, verneinte Spinath. Der Begriff „Intelligenz“ würde auch in der allgemeinen Literatur inflationär und unzulässig verwendet, wenn etwa von emotionaler, erotischer, finanzieller, spiritueller oder kreativer Intelligenz die Rede ist. Zur Orientierung, was Intelligenz ausmache, benannte er stattdessen Faktoren, die zur Gruppe der kognitiven Fähigkeiten zählten: Sprachverständnis, induktives und deduktives Denken, Wortflüssigkeit, Rechenfähigkeit, räumliches Vorstellungsvermögen und Merkfähigkeit. Auch die Wahrnehmungsgeschwindigkeit gehöre dazu, denn intelligentere Menschen seien in der Lage, im Vergleich Aufgaben schneller zu lösen.

Die oft gehörte Aussage „Ich hab’s zwar nicht so mit Zahlen, aber dafür bin ich sehr eloquent!“ stehe für ein weiteres Missverständnis, das sich hartnäckig halte. Menschen unterlägen hier nämlich einem Wahrnehmungsfehler, da sie sich mit sich selbst und nicht mit anderen verglichen. Natürlich stimme es, dass man in manchen Dingen besser als in anderen sei. Groß angelegte Studien belegen jedoch, dass die verschiedenen Teilbereiche der Intelligenz zwar differenziert erfasst werden können, am Ende aber in einem einzigen aussagefähigen Gesamtwert, dem sogenannten Intelligenzquotienten, zusammenfließen.

Laut Definition hat der Durchschnitt der Bevölkerung einen IQ-Wert von 100, er stellt das Maximum einer Gauß’schen Normalverteilung dar. Je höher dieser Wert, desto intelligenter ein Mensch und umgekehrt. Allerdings weisen nur zwei Prozent der Bevölkerung einen sehr hohen IQ-Wert von über 130 auf. Laut einer Studie bestehen in Deutschland regionale IQ-Unterschiede in Form eines West-Ost- und Süd-Nord-Gefälles, was auf einen Verlust von Humankapital in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit deute. Einen weiteren interessanten Zusammenhang gebe es laut Spinath auch zwischen IQ und Lebenserwartung: Intelligente Personen werden mit höherer Wahrscheinlichkeit älter, da sie ein besseres Gesundheitsverhalten aufweisen.

Anekdotisch berichtete Spinath über stereotype Stigmata beim Thema Hochbegabung. Wie stellen wir uns hochbegabte Menschen vor? Meistens als Männer oder Jungs mit Brille, die aussehen wie die Romanfigur Harry Potter und einzelkämpferisch unterwegs sind. Laut Forschung handele es sich hierbei um ein typisch deutsches Phänomen. In anderen Kulturen gäbe es hingegen andere Assoziationen zu diesem Thema. Menschen in den USA etwa dächten bei Hochbegabung vor allem an Teamgeist und gemeinschaftliches Schaffen, in asiatischen Ländern zählten Weisheit und Erfahrung dazu, die Hochbegabte einbringen und gewinnbringend an andere weitergeben.

Ob und inwieweit Intelligenz erblich ist – bei dieser Frage räumte Spinath gleich zwei Missverständnisse aus. Erstens: Die Effekte von Anlage und Umwelt kann man nicht getrennt betrachten. Und zweitens: Der Einfluss der Umwelt wird im Lebenslauf wichtiger als der Einfluss der Gene. „60 Prozent tragen die Gene zur Intelligenz eines Menschen bei, 40 Prozent die Umwelt.“ Das ergäben Untersuchungen an Zwillingen. Allerdings verändere sich dieses Verhältnis im Lauf des Lebens. In den ersten Lebensjahren sei für die Intelligenz eines Kindes vor allem relevant, was innerhalb seiner Familie passiere. Dieser Einfluss verliere jedoch schnell an Bedeutung. Bereits im jungen Erwachsenenalter sei er nur noch marginal, dann würden genetische Faktoren immer wichtiger. In der Forschung wird hier von einer aktiven Anlage-Umwelt-Korrelation gesprochen.

Spinaths Fazit nach über 30 Jahren psychologischer Forschung: „Natürlich hängt Intelligenz auch von Bildung ab. Es gibt kein genetisches Schicksal, aber man muss viel Kraft aufwenden, um gegen seine Genetik und Umwelt anzuarbeiten. Wir Menschen sind und bleiben verschieden.“ Individuelle Unterschiede würden aber erst dann zum Problem, wenn die Ansicht vorherrsche, dass Menschen nicht verschieden sein dürfen. „Der Schlüssel zur Bildungsgerechtigkeit liegt im Anerkennen interindividueller Unterschiede sowie in der Kenntnis und Anwendung geeigneter Methoden, wie man damit umgeht.“

Referent
Prof. Dr. Frank M. Spinath ist seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität des Saarlandes. Als Mitinitiator und wissenschaftlicher Leiter der seit 2013 im Langfristprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Zwillings-Familienstudie „Twin-Life“ untersucht er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Soziologie, Psychologie und Humangenetik die Entwicklung sozialer Ungleichheit.
 

Dialog im Museum
23. Februar 2023
Mercedes-Benz Museum
70372 Stuttgart

Referent:
Prof. Dr. Frank M. Spinath
Universität des Saarlandes