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Die Macht der Viren – Feinde, Weggefährten und Nützlinge

 

Es war zwischen 1900 und 1930, als ein Jäger im nördlichen Kongo oder in Kamerun einen Schimpansen erlegte. Damals wie heute ist die Pirsch auf Wildtiere in Zentralafrika nichts Ungewöhnliches, ihr Fleisch ist begehrt und wird auf lokalen Märkten verkauft. Doch dieses eine Jagdereignis vor rund 100 Jahren erschüttert die Welt bis heute: Es löste eine Pandemie aus, die nicht nur Afrika heimsuchte, sondern weltweit bislang rund 35 Millionen Tote forderte. Der damals erlegte und verzehrte Affe trug nämlich eine besondere Form von HIV in sich, eine Variante, die besonders leicht auf den Menschen als neuen Wirt übersprang – und dann binnen weniger Monate als „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ (AIDS) dessen Immunsystem radikal zerstörte.

„Allein während wir heute Abend hier im Museum über den aktuellen Stand der Virusforschung diskutieren, werden weltweit 100 Menschen an AIDS sterben und rund 5.000 werden sich neu infizieren“, so Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Leiter des Fachbereichs Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Kommt es zu einem lokalen Ausbruch etwa von Ebola oder der Vogelgrippe, überschlagen sich die Medien mit Schlagzeilen wie ‚Der Dämon aus dem Busch‘, ‚Mörderische Epidemie‘ oder ‚Ausbruch der Killer-Viren‘. Das treibt den Blutdruck der Leser und die Auflagenzahlen der Magazine nach oben, aber aus wissenschaftlicher Sicht gibt es größere Herausforderungen zu bewältigen“, stellte Kräusslich fest. Es sei niemandem gedient, wenn bei diesem Thema überdramatisiert werde.

Während Ebola rund 13.000 Todesfälle seit 1976 verursacht habe, würde die jährliche Grippe weltweit und pro Jahr 400.000 Opfer fordern. Auch sollten wir nicht aus den Augen verlieren, welche riesigen Fortschritte die Forschung im Kampf gegen durch Viren verursachte Seuchen erreicht habe: Dank umfassender Impfkampagnen seien die Pocken seit 1977 ausgerottet, das Poliovirus, der Erreger der Kinderlähmung, komme nur noch in drei Ländern der Erde vor und die chronische Hepatitis sei seit 2014 bei den allermeisten Patienten heilbar. Auch AIDS stelle bei angemessener medizinischer Behandlung kein Todesurteil mehr dar.

Insgesamt gebe es in den Ozeanen geschätzt rund 10 Millionen Mal mehr Viren als Sterne im Universum. Und bereits die Frage, ob ein Virus denn nun ein Lebewesen sei oder nicht, könne durchaus unterschiedlich beantwortet werden, so Kräusslich. Sicher sei: Ein Virus besitze rund 7.500 Bausteine, die in eine Eiweißhülle gepackt sind. Es habe einen sehr einfachen Bauplan, den wir als biochemische Verbindung am Übergang von lebender und unbelebter Materie begreifen könnten. Ohne einen Wirt sei das Virus nichts, es besitze keinerlei Funktion – doch treffe es auf einen geeigneten Organismus, entpuppe es sich als unglaublich effiziente Vermehrungsmaschine, als radikal „selbstsüchtiges Genom“.

Auf der Erde gebe es kaum einen Lebensraum, und sei er noch so extrem, der nicht bereits durch Viren besiedelt sei. Viren fänden sich nicht nur auf unserer Haut, unter dem Rosenbusch im Garten oder der nächsten Straßenlaterne, sondern ebenso in der Tiefsee, in säurehaltigen und 80 Grad heißen Quellen, in Salinen und bis zu zwei Kilometer unter der Erdoberfläche. Wichtig sei es deshalb zu erkennen, dass Viren eben nicht nur als mögliche Krankheitserreger agierten, sondern ebenso ein elementarer Teil von uns Menschen seien.

Zunehmend an Bedeutung gewinne die Virusforschung in den kommenden Jahren für die Medizin. Trotz zunächst zahlreicher Misserfolge und Forschungsrückschläge gebe es mittlerweile sehr vielversprechende neue Therapieansätze, denn Viren erwiesen sich als ideale Vehikel, um Erbinformationen, etwa therapeutische Gene, in erkrankte Zellen einzuschleusen. Damit ließen sich bereits heute bei einigen Patienten ganz bestimmte Blutkrankheiten heilen. Auch in der Tumormedizin dürften Virustherapien in Zukunft neue Heilungschancen eröffnen. So könnten sie etwa in Krebszellen eingeschleust werden und diese gezielt zur Selbstzerstörung anleiten. „Noch verstehen wir viele dieser Zusammenhänge nicht im Detail, aber wir sind hier wissenschaftlich definitiv an einem Punkt angelangt, von dem aus wir uns ganz neue Horizonte eröffnen können“, so Kräusslichs Fazit.

Referent
Nach Medizinstudium und Promotion in München wechselte Hans-Georg Kräusslich als Postdoc an die New York State University. Bis 1995 war er als Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum tätig, im Anschluss wurde er als Professor an das Heinrich-Pette-Institut in Hamburg berufen. Seit 2000 ist er Leiter des Fachbereichs Virologie an der Universität Heidelberg. Für seine wissenschaftliche Arbeit wurde er mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet.
 

Dialog im Museum
27. September 2018
Mercedes-Benz Museum
70372 Stuttgart

Referent:
Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich
Zentrum für Infektiologie, Virologie Universität Heidelberg