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Ist die Wahl zwischen psychischer Gesundheit und der Wahrung der Glaubhaftigkeit einer Aussage vor Gericht zwingend?

 

Ursachen, Auswirkungen des „traumatherapeutischen Dilemmas“ und ein möglicher Umgang damit.

Zahlreiche Menschen sind im Lauf ihres Lebens potenziell traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt – etwa Gewalttaten, sexuellen Übergriffen oder Überfällen. Einige Betroffene entwickeln daraufhin eine Traumafolgestörung in Form einer akuten Belastungsreaktion oder Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS); zur psychotherapeutischen Behandlung der PTBS gibt es verschiedene evidenzbasierte Methoden. Es besteht Konsens darüber, dass Betroffene möglichst schnell psychotherapeutische Hilfe bekommen sollten, um eine Verschlechterung oder auch Chronifizierung initialer PTBS-Symptome zu verhindern.

In der Praxis wird mutmaßlichen Opfern von Gewalttaten jedoch regelmäßig davon abgeraten, eine traumafokussierte Therapie zu beginnen, solange ein laufendes Strafverfahren nicht abgeschlossen ist. Begründet wird dies mit potenziellen Auswirkungen psychotherapeutischer Interventionen auf das Gedächtnis und dem Risiko von Scheinerinnerungen, die durch suggestive Prozesse in der Therapie entstehen können. Es wird also angenommen, dass eine Psychotherapie Auswirkungen auf die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen haben könnte, was für juristische Verfahren hoch problematisch sein kann. Betroffene stehen somit häufig vor der Wahl, entweder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen oder die Glaubhaftigkeit der eigenen Aussage zu wahren. Dieser Konflikt wird auch als „traumatherapeutisches Dilemma“ bezeichnet.

Tatsächlich zeigt die Grundlagenforschung eindrücklich, dass Scheinerinnerungen durch suggestives Vorgehen und Missinformationen hervorgerufen werden können. Allerdings unterscheidet sich die Methodik entsprechender Studien deutlich vom Vorgehen lege artis traumafokussierter psychotherapeutischer Interventionen. Studien mit explizitem Fokus auf den Auswirkungen traumafokussierter Interventionsmethoden zeigen bislang keine nachteiligen Effekte auf die Erinnerung.

Im Rahmen des Ladenburger Diskurses wollen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen sowie Vertreter von Berufsgruppen, die mit Betroffenen arbeiten, die Ursachen und Folgen des traumatherapeutischen Dilemmas reflektieren. Zielsetzung ist es, Empfehlungen für einen künftigen Umgang in Psychotherapie, Justiz und Politik zu erarbeiten. Darüber hinaus sollen interdisziplinäre Forschungsstrategien entwickelt werden, um mögliche Risikokonstellationen für Erinnerungsverfälschungen im Rahmen von Psychotherapien zu identifizieren und Wege der Risikominimierung zu finden. Nicht zuletzt sollen alle relevanten Fachdisziplinen in zielgruppengerechter Kommunikation für diese Thematik sensibilisiert werden.

 
Wissenschaftliche Leitung
  • Dr. Larissa Wolkenstein, Department Psychologie, LMU München