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Konzert der Neuronen: Wie macht das Gehirn Musik?

 

„Überall auf der Welt hören, machen und genießen Menschen Musik. Diese Musiken könnten unterschiedlicher nicht sein, aber überall auf der Welt bestimmen sie unser Zusammenleben. Uns interessiert, warum das so ist“, begann PD Dr. Daniela Sammler ihren Vortrag. Als Leiterin der Forschungsgruppe Neurokognition von Musik und Sprache erforscht die Psychologin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main, in welchem Maße das menschliche Gehirn in der Wahrnehmung und Produktion von Musik und Sprache einen Unterschied macht – oder nicht – und wie genau die neuronale Verankerung, kognitive und ästhetische Verknüpfung von Musik und Sprache aussieht.

Zu den ältesten erhaltenen Musikinstrumenten der Geschichte zählen die ca. 35.000 Jahre alten Knochenflöten, die 2008 bei einer Ausgrabung in der Karsthöhle von Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb entdeckt wurden. Mindestens genauso lange machen Menschen Musik. „Gibt es einen musikalischen Sinn, den wir als Menschen haben? Haben diesen Sinn andere Tiere auch? Haben Tiere Musikalität und Taktgefühl?“, umriss Sammler ihr Forschungsthema. Spannend werden diese Fragen, wenn man sich Spezies anschaue, die relativ nah mit uns Menschen verwandt sind. Zwar haben Bonobos fast das identische Genom wie Menschen, aber genauso wie Gorillas und Menschenaffen singen und tanzen sie nicht. Auch Hunde, die seit ca. 30.000 Jahren Seite an Seite mit Menschen leben, tun dies nicht.

Bereits Charles Darwin ging davon aus, dass Musikalität ihren Ursprung in affektiven Tierlauten habe. „Unsere Musikalität bzw. unser Taktgefühl scheint tatsächlich bis zu einem gewissen Grad erblich zu sein“, ergänzte Sammler. Die Forschung gehe davon aus, dass hier eine Zusammensetzung von 69 Genen, die für die Struktur des Gehirns verantwortlich sind, besonders aufschlussreich seien.

Dass Menschen einen musikalischen Takt aktiv im Gehirn konstruieren, wenn sie diesen zur Musik klatschen, veranschaulichte sie anhand zweier Experimente mit dem Publikum. Beim ersten Versuch sollte ein zuvor gegebener Takt weiter geklatscht und gehalten werden. „Wenn wir nun im Labor gemessen hätten, wann Sie klatschen, hätten wir festgestellt, dass die Taktschläge unbewusst oft ein bisschen zu früh kommen“, so Sammler. Dies sei ein Hinweis darauf, dass man den Takt voraus- bzw. mitdenkt: „Es wird also nicht reagiert, sondern der Takt wird antizipiert.“ Im zweiten Versuch ging es darum, jeweils den ersten und dritten Schlag eines gegebenen 4/4-Taktes mitzuklatschen. Daran erläuterte Sammler das sogenannte „Tick-Tack-Phänomen“: Obwohl die gegebenen Töne des Taktes alle gleich laut sind, konstruiert das Gehirn zusätzlich eine zweite Taktebene, bei der die wichtigsten Taktschläge (eins und drei) stärker akzentuiert werden. Diese Betonung der Hierarchie innerhalb des Taktes zeige sich insbesondere in entsprechenden Körperbewegungen beim Tanzen.

Die Synchronisation mit der Musik auf allen Ebenen erfordert eine Menge kognitiver Prozesse im Gehirn. Um die daran beteiligten Gehirnregionen darzustellen, bedienen sich die Forscher bildgebender Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT).

Diese Experimente zeigten, dass die durch ein dickes Faserbündel miteinander verbundenen Hör- und motorischen Zentren im Gehirn an der audiomotorischen Kopplung und Antizipation beteiligt sind.

„Der biologische Ursprung unserer Musikalität liegt demnach in unseren Genen und in unserer Hirnstruktur“, fasste Sammler die Ergebnisse zusammen. Man sehe übrigens rudimentäre Fähigkeiten etwa auch bei Seerobben, Walen und Kakadus. Ein berühmtes Beispiel ist etwa der Kakadu „Snowball“, der 2007 mit seinen rhythmisch synchronen Tanzeinlagen zur Musik von Michael Jackson auf YouTube berühmt wurde und auch die Wissenschaftler verblüffte.

Die biologische Grundlage in unseren Genen erkläre vermutlich, warum alle Völker und Kulturen überall auf der Welt Musik machen. „Aber woher kommt die Freude, dies gemeinsam zu tun und uns dabei mit anderen zu synchronisieren?“, fragte Sammler. Eine Erklärung biete die Simulationstheorie: „Wenn wir uns mit anderen Personen synchronisieren, simulieren wir die Handlungen unserer Interaktionspartner in unserem eigenen audiomotorischen System. Es laufen also parallel unsere eigene Handlungsplanung und die simulierte für den Partner ab.“ Diese Simulation konnten Sammler und ihr Team nachweisen, indem sie zwei gleichzeitig spielende Pianisten untersuchten. Mittels eines speziell für die Forschung entwickelten Klaviers, das mit dem Pianisten in das MRT-Gerät passt, konnte gleichzeitig musiziert und die Hirnaktivität der Musiker gemessen werden. Als Ergebnis sahen die Forscher „ein balanciertes Multi-Tasking zwischen Hören, motorischer Planung, eigenen Handlungen und denjenigen des Partners, die simuliert werden“.

Diese beim Musizieren erforderliche Gehirnleistung ließe aber nicht automatisch die Schlussfolgerung zu, dass Musik schlauer und intelligenter mache, wie es die unter dem Schlagwort „Mozart-Effekt“ in den 1990er-Jahren berühmt gewordene Studie von Frances Rauscher versucht hatte nachzuweisen. „Das ist wahrscheinlich nicht so, zumindest ist es nicht so einfach“, erläuterte Sammler. Man wisse jedoch, dass das jahrelange Training bei Musikern Änderungen in den Hörzentren hervorrufe. Weil es in deren primären Hörzentren mehr graue Substanz gebe, können sie etwa feinere Tonhöhenunterschiede wahrnehmen als Nicht-Musiker. Auch seien die Faserbündel, die das Gehirn mit der Hand verbinden, bei Musikern stärker ausgeprägt, was eine viel schnellere Signalüberleitung zur Folge habe. „Das heißt: Das Gehirn passt sich an die Anforderungen des musikalischen Trainings und auch des Musikinstruments an“, so Sammler.

„Die Interaktion zwischen Musik und Gehirn ist eine wechselseitige“, lautete Sammlers Resümee. „Es ist ein give and take zwischen unserer Biologie und unserem Verhalten, zwischen unseren Genen und den Anforderungen, die das Instrument an uns stellt.“ Eine zentrale Frage für die zukünftige Forschung sei, wie man die Kraft der Musik therapeutisch nutzen könne, etwa bei Schlaganfall-Patienten oder in der Behandlung neurologischer Störungen wie Parkinson. „Solange wir an diesen Fragen arbeiten, ist es eine gute Idee, weiterhin gemeinsam zu musizieren und zu singen“, riet Sammler.

 

Dialog im Museum
4. Juni 2024
Mercedes-Benz Museum
70372 Stuttgart

Referentin:
PD Dr. Daniela Sammler
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik