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Generative KI und das Wahre, Gute und Schöne

 

„ChatGPT war Ende 2022 ein Paukenschlag, weil die künstliche Intelligenz plötzlich in unseren Händen war“, sagte Prof. Dr. Oliver Bendel, einer der führenden Technikphilosophen im deutschsprachigen Raum. Es war Zufall, dass sein Vortrag zeitgleich zum Pariser Aktionsgipfel zur künstlichen Intelligenz (KI) stattfand, der Staats- und Regierungschefs, internationale Führungskräfte, Wissenschaftler sowie weitere Akteure zusammenbrachte, um über einen innovativen und zugleich verantwortungsvollen Umgang mit der KI-Technologie zu beraten.

Bendel ist seit 2009 Professor am Institut für Wirtschaftsinformatik der Fachhochschule Nordwestschweiz und forscht zu KI-Systemen und Robotern aus der Perspektive der Technikphilosophie. Sein besonderes Interesse gilt dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine und darauf aufbauend der Frage, wie die Maschine der Gegenwart und der Zukunft beschaffen sein sollte.

Begriffliche Grundlagen zu Robotik und KI
Zunächst ging Bendel auf zentrale Begriffe seines Fachgebiets ein und machte Definitionsvorschläge, die er bewusst als „vorläufiges Ergebnis“ verstanden wissen wollte: Die Robotik beschäftige sich mit dem Entwurf, der Gestaltung, der Steuerung, der Produktion und dem Betrieb von Robotern, etwa von Industrie- und Servicerobotern. Die Soziale Robotik erforsche und entwickle soziale Roboter, die für den Umgang mit Menschen und Tieren gedacht sind. Zwischen beiden Bereichen gebe es aber auch Überschneidungen.

In der künstlichen Intelligenz gehe es um die Schaffung von Computersystemen, die die Ergebnisse menschlicher oder tierischer Verstandestätigkeiten erzielen, ergänzen oder übertreffen können. Bei generativer KI handele es sich um KI-basierte Systeme, mit denen etwa Bilder, Videos, Audios und Codes erstellt oder Simulationen durchgeführt werden können. Dazu zählen Textgeneratoren, die nach einer Eingabe bzw. Anweisung des Benutzers (einem Prompt) alle möglichen Texte hervorbringen, zusammenfassen, bewerten, übersetzen, editieren oder paraphrasieren. Zudem sind sie als Dialogsysteme nutzbar, im Sinne von Chatbots und Sprachassistenten. Textgeneratoren und Chatbots wie ChatGPT und DeepSeek beruhen auf großen Sprachmodellen (Large Language Models, kurz LLMs) oder anderen KI-Modellen. Multimodale LLMs können verschiedene Formate verarbeiten und ausgeben.

Ethische Fragen zu KI, Robotern und Maschinen
Die Auseinandersetzung mit moralischen Fragen des Technik- und Technologieeinsatzes sei Gegenstand der Technikethik, so Bendel. Die KI-Ethik im Besonderen widme sich den moralischen Herausforderungen bei der Entwicklung und Nutzung von KI-Systemen. Die Roboterethik frage unter anderem nach der Verantwortung und den Rechten und Pflichten von Robotern. Bendel selbst vertritt den Standpunkt, dass Roboter, Computer- und KI-Systeme keine Verantwortung tragen können. Auch sei er ein entschiedener Gegner von Rechten für Roboter. Allerdings stellte er fest: „Ich halte es für notwendig, dass sich Roboter an bestimmte Regeln halten, die wir ihnen geben. Das können auch moralische Regeln sein.“ Die Maschinenethik entwickle zusammen mit künstlicher Intelligenz und Robotik sogenannte moralische Maschinen. „Diese haben keinen freien Willen, kein Bewusstsein, sie haben keine Intuition, sie haben keine Empathie – sie haben nichts davon“, betonte Bendel. „Aber Maschinen können moralische Regeln befolgen, die wir ihnen geben. Das ist der springende Punkt.“

Von der Trias des Wahren, Guten und Schönen zu Anwendungen der generativen KI
Im Folgenden verwendete er die von Platon formulierte Trias des Wahren, Guten und Schönen als Systematik des Künstlichen, indem er jeweils von der Ideengeschichte einer bestimmten künstlichen Kreatur aus der Antike Parallelen zur Gegenwart zog und Beispiele generativer KI aufzeigte. „Meine Behauptung ist, dass Roboter oder überhaupt künstliche Kreaturen schon vor mehreren Tausend Jahren den Menschen als Idee präsent waren“, so Bendel.

Von der antiken Legende des sprechenden Kopfes von Vergil machte Bendel einen Sprung zum Chatbot ChatGPT, den OpenAI Ende 2022 herausbrachte. „Plötzlich hatte die Öffentlichkeit Zugriff auf ein mächtiges KI-Werkzeug und konnte Texte generieren lassen und komplexe Gespräche führen. Plötzlich waren wir aber auch abhängig davon“, so Bendel. Chatbots gebe es bereits seit den 1960er-Jahren, ein berühmtes Beispiel sei das von Joseph Weizenbaum entwickelte Dialogsystem ELIZA. Einen regelrechten Hype um Chatbots und Avatare erlebten die Benutzer dann um die Jahrtausendwende, als Artificial Life ein bekannter Anbieter dieser digitalen Kommunikationspartner und Stellvertreter in der virtuellen Welt war.

Aus seiner eigenen Forschungsarbeit stellte Bendel unter anderem Chatbots vor, mit denen die Nutzer in gefährdeten Sprachen wie Vallader, einem Idiom des Rätoromanischen, und Baskisch kommunizieren können (@llegra und kAIxo, 2023 bzw. 2024). Doch weil an Schulen und Hochschulen immer mehr Schüler bzw. Studierende ihre Arbeiten mithilfe von Textgeneratoren erstellen, entstehe ein riesiges Problem: „Die Schüler erlernen so das Schreiben nicht mehr in angemessener Weise, die Studenten nicht mehr das wissenschaftliche Schreiben. Zudem verlieren sie ihre individuelle Stimme.“

Der hinkende Gott der Schmiede, Hephaistos, schuf die goldenen Dienerinnen, die ihn stützen sollten. Von diesen „guten“ künstlichen Kreaturen schlug Bendel den Bogen zu Beispielen „guter“ Chatbots. In einem aktuellen Projekt etwa nutzen Bendel und seine Studierenden multimodale Sprachmodelle für die „Animal Whisperer“-Apps, die Körpersprache und Verhalten von Tieren in einer bestimmten Situation analysieren und evaluieren und dann Empfehlungen für das eigene Verhalten geben (z. B. beim Kontakt mit Kühen während einer Wanderung). Als Kritikpunkt bemerkte er: „Generative KI kann zu moralischen und auch zu anderen Fehlurteilen und -entscheidungen kommen und zugleich keine Verantwortung für Entscheidungen tragen.“

Ein weiteres künstliches Geschöpf von Hephaistos war Pandora, die zwar dumm, böswillig und faul gewesen sei, aber auch schön, um Epimetheus, dem Bruder des Prometheus, zu gefallen. Bendel ging in diesem Zusammenhang auf die Ästhetik humanoider Roboter ein und verwies auf das American Smile, das offenbar bei Bildern von lachenden Menschen dominiere, die mit dem Bildgenerator DALL-E 3 erzeugt wurden. Weiterhin nannte er die im Jahr 2024 gestartete Modekampagne der Firma Mango, bei der digitale Models eingesetzt wurden. „Generative KI bringt das Schöne hervor, allerdings auch das Stereotype, und sie lässt Verzerrungen und Vorurteile aller Art entstehen“, kritisierte Bendel. „Der langwierige Prozess der Erstellung, das Lernen aus Fehlern, die Verbesserung im Laufe der Zeit, die Freude beim endlich sich einstellenden Erfolg – all das fällt weg.“

Wie hoch ist der Preis der generativen KI?
„Generative KI wurde ab 2022 zum Werkzeug der Massen. Damit fand eine Art Demokratisierung der KI statt. Es entstanden Chancen, auch für das Wahre, Gute und Schöne“, resümierte Bendel. „Zugleich entstanden Risiken, wenn generative KI in die falschen Hände geriet. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erlernen grundlegende Kulturtechniken nicht mehr, Kriminelle stehlen Stimmen und Identitäten und entwickeln gefährliche Stoffe.“ Weitere Probleme beziehen sich etwa auf Urheberrecht und -schutz, auf Überwachungsmöglichkeiten aller Art sowie auf die Macht der Konzerne. Nicht zuletzt sei auf den hohen Strom- und Ressourcenverbrauch durch das Trainieren und Nutzen von generativen KI-Systemen hinzuweisen.

„Und was bedeutet das für unsere Zukunft? Sollen wir die Forschung in der KI einstellen? Sollen wir die generative KI den Menschen wieder wegnehmen? Sollen wir sie grundsätzlich verbieten?“, fragte Bendel und ergänzte abschließend: „Das kann kaum die Lösung sein. Aber wir sollten mehr denn je gemeinsam über Technologien entscheiden, die uns alle angehen, und Instrumente schaffen, um ihren Missbrauch zu verhindern.“

Referent
Prof. Dr. Oliver Bendel
 

Dialog im Museum
11. Februar 2025
19.00 Uhr

Referent:
Prof. Dr. Oliver Bendel
Institut für Wirtschaftsinformatik, Fachhochschule Nordwestschweiz