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Treffen der Stipendiaten, Fellows und Alumni 2022

 

Im Oktober 2022 trafen sich Stipendiaten und Alumni des Nachwuchsförderprogramms der Daimler und Benz Stiftung in Köln zum Austausch über Wissenschaft, berufliche Karrieren und gesellschaftliche Fragestellungen. Zu dem Treffen lädt die Stiftung regelmäßig gemeinsam mit dem Alumni-Verein der Stiftung ein, der mit seinen Mitgliedsbeiträgen Reisekosten bezuschusst und damit weit gereisten Fellows die Teilnahme ermöglicht. Dass das Treffen an der Universität zu Köln stattfinden konnte, geht auf einen Vorschlag und das große persönliche Engagement des Stipendiaten Łukasz Jędrzejowski zurück, der dort am Institut für deutsche Sprache und Literatur forscht.

Den Auftakt des Programms bildete am Samstagmorgen eine Führung über „Urban Art“ durch das Belgische Viertel in Köln. Unter Urban Art versteht man Kunst im öffentlichen Raum, zu der z. B. Graffiti und Street Art gezählt wird. Die Führerin, die sich bestens in dieser sich bewusst von etablierter Kunst absetzenden Szene auskannte, lenkte den Blick der Gruppe nicht nur auf große Wandgemälde (Murals) sondern auch auf kleine Kunstwerke an Eingängen, Laternenmasten oder Fenstersimsen. Zum anschließenden akademischen Teil des Programms lud die Universität zu Köln in den Alten Senatssaal mit einer beeindruckenden Sammlung von Porträts ehemaliger Rektoren. Das Programm spiegelte mit mehreren Vorträgen die von Krieg und Krisen geprägte Realität unserer Zeit wider.

Dr. Félix Krawatzek vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin eröffnete das akademische Programm mit einem Vortrag über den Zusammenhang von kontroversen Sichtweisen auf die Geschichte und militärischer Eskalation. Er fokussierte dabei auf die aktuellen Ereignisse in der Ukraine. Krawatzek legte anhand von empirischen Erhebungen aus dem Januar 2022, also sehr kurz vor dem Kriegsausbruch im Februar, dar, welche unterschiedlichen historischen Narrative zur ukrainischen Nationalidentität in der russisch- und der ukrainischsprachigen Bevölkerung bestehen. Er untersuchte, welche Erwartungshorizonte und „mentalen Geografien“ diese Narrative zu erzeugen vermögen. In seinem Vortrag beschrieb Krawatzek die Methoden, mit denen Regierungen durch öffentliche Reden und Publikationen gezielt historische Narrative in die Bevölkerung einbringen und fördern.

Dr. Hartmut Walther von der Xella International GmbH legte in seinem Vortrag den Fokus auf eine weitere der großen Herausforderungen der Gegenwart: den menschengemachten Klimawandel. Walther berichtete von Forschungen der Bau- und Dämmstoffindustrie zur Rückbindung von freigesetztem CO2 in Baustoffen. Diese Forschung habe unter anderem das Ziel, die CO2-Bilanzen beim Gebäudebau besser zu verstehen. Kritisch diskutiert wurden anschließend Bemühungen von Industriezweigen, CO2-Bilanzen bestehender Prozesse im Angesicht des CO2-Zertifikate-Handels mutmaßlich schönzurechnen.

Dr. Lennart Gilhaus vom Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn knüpfte mit seinem Vortrag über die Brutalität des Krieges im antiken Griechenland und in anderen Gesellschaften an das Eingangsthema des Vortragsprogramms an und spannte mit seiner Betrachtung kriegerischer Gewalt einen großen historischen Bogen. Anhand von Untersuchungen über Formen von Gewalt in den Kriegen der Assyrer, der antiken Griechen, der antiken Römer und, als jüngeres historisches Beispiel, Japans im 12. Jahrhundert n. Chr. legte Gilhaus dar, wie die Ausprägung von Gewalt im Krieg von den Wertvorstellungen, den religiösen Systemen, den Rechtsbegriffen und den politischen Zielen der kriegführenden Gesellschaften bestimmt wird. Historische Untersuchungen dieser Art hätten sich bewährt, heute unvorstellbar erscheinende Kriegsakte wie die Massaker von Mỹ Lai oder von Butscha historisch einzuordnen und, in Ermangelung eines besseren Wortes, zu „erklären“.

Dr. Katharina Schregel vom Universitätsklinikum Heidelberg schließlich gab den Stipendiaten und Alumni der Stiftung einen Ausblick auf ein neuartiges diagnostisches Verfahren zur Hirntumorerkennung. Schregel entwickelt ein elastografisches Verfahren, das sich die unterschiedlichen elastischen Eigenschaften von gesundem Hirngewebe und von Tumorgewebe zunutze macht. Ähnlich wie aus seismischen Wellen auf Ursprung und Art einer Quelle geschlossen werden kann oder eine Fledermaus aus Schallwellen Informationen über Ort und Art von Objekten in ihrer Umgebung bezieht, benutzt das Verfahren mechanische Wellen. Mechanische Kompressionswellen von sehr geringer Intensität verursachen im Probegewebe Scherungen, die in einem MRT-Bild sichtbar gemacht werden können. Patienten liegen dazu im MRT mit dem Kopf auf einer Art sehr leicht vibrierendem Kissen. Im MRT-Bild können auf diese Weise invadierende Tumorzellen erkannt sowie Verlaufsbilder bei Tumorbehandlungen angefertigt werden. Da verschiedene Tumor-Subregionen unterschiedliche Steifigkeiten aufweisen, ermögliche das elastografische Verfahren stärker differenzierte Bilder des Tumors als bisherige MRT-Verfahren. Dieses Verfahren werde daher eine zielgenauere Tumorbehandlung schon zu einem früheren Zeitpunkt ermöglichen, so Schregel.

Abgerundet wurde das Vortragsprogramm durch den Abendvortrag von Prof. Dr. Martin Reuter vom Institut für Psychologie der Universität Bonn. Reuter führte ein in die begriffliche Unterscheidung von Furcht und Angst und in seine Arbeiten zur Erforschung und Abgrenzung dieser Emotionen. Reuter stellte Modelle vor, denen zufolge Furcht unter anderem die Funktion habe, sich vom Gefahrenreiz abzuwenden. Angst dagegen habe die Funktion, sich der Gefahr zuzuwenden. Furcht sei unkonditioniert, Angst sei konditioniert. Zur Messung von Angst entwickelt Reuter eine Welt im virtuellen Raum, die Probanden mit einer VR-Brille durchschreiten. Die Probanden begegnen dabei unterschiedlichen Annäherungs-Vermeidungs-Aufgaben. So gibt es zum Beispiel Gefahrensituationen, bei denen (symbolische) Bestrafung droht, aber auch eine Belohnung in Aussicht steht, falls die Gefahr gemeistert wird. Messdaten etwa über die Zeitdauer, die Probanden jeweils bis zu einer Annäherungs- oder Vermeidungs-Entscheidung benötigen, aber auch über die jeweilige Entfernung zu der Gefahr sollen dazu beitragen, den Zustand der Angst besser zu verstehen. Ziel von Reuters Forschungen ist letztlich eine neurobiologische Erklärung für menschliches Verhalten und damit auch für Verhaltensänderungen.

Lebhafte und intensive Diskussionen über die vorgetragenen Themen bestimmten den gemeinsamen Ausklang des Samstags bei Kölsch und kaltem Büfett. Den Abschluss des Treffens bildete am Sonntagvormittag ein gemeinsamer Besuch des Museums Ludwig. Während sich am Vortag im Belgischen Viertel alles um die alternativen Kunstszene drehte, standen hier die Klassiker der Moderne im Mittelpunkt. Bei einer anschließenden Führung durch die ständige Ausstellung des Museums tauchten die Alumni und Stipendiaten, allein oder in kleinen Gruppen, in die Kunstsammlung des Museums ein.

Ein Wochenende mit vielen starken Eindrücken endete schließlich gesellig in einem Kölner Brauhaus. Impulse wurden gegeben und aufgenommen, freundschaftliche Bande wurden gestärkt oder geknüpft, Kontakte wurden ausgetauscht, und ein lebendiges Netzwerk an Alumni und Stipendiaten versicherte sich, auch in Zukunft zu weiteren anregenden Austauschen zusammenzukommen.