Treffen der Stipendiaten, Fellows und Alumni 2023
Das Treffen 2023 der aktuellen und ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Daimler und Benz Stiftung fand vom 22. bis 24. September 2023 in Ladenburg statt.
Im September 2023 trafen sich Stipendiaten und Alumni des Nachwuchsförderprogramms der Daimler und Benz Stiftung in Ladenburg zum Austausch über Wissenschaft, berufliche Karrieren und gesellschaftliche Fragestellungen. Zu dem Treffen lädt die Stiftung regelmäßig gemeinsam mit dem Alumni-Verein der Stiftung ein, der mit seinen Mitgliedsbeiträgen Reisekosten bezuschusst und damit weit gereisten Fellows die Teilnahme ermöglicht.
Dr. Jörg Klein, Geschäftsführer der Daimler und Benz Stiftung, begrüßte über 30 Teilnehmer und betonte die fortwährende Bedeutung, welche die Nachwuchsförderung im Wirken der Stiftung einnimmt. Anschließend hieß Dr. Jochen Langer, erster Vorsitzender des Alumni-Vereins der Stiftung, alle Anwesenden willkommen und machte aufmerksam auf den intensiven wissenschaftlichen Austausch unter Stipendiaten im Alumni-Verein. An dem diesjährigen Treffen nahm auch Prof. Dr. Gisbert Freiherr zu Putlitz teil, Gründungsvorstand der Stiftung und Ehrenmitglied des Alumni-Vereins.
Wohin geht die Reise? Die Entstehung Deutschlands als touristische Marke
Dr. Mathias Häußler vom Lehrstuhl für Europäische Geschichte (19. und 20. Jahrhundert) der Universität Regensburg eröffnete das akademische Programm mit einem Vortrag über die Entstehung des modernen Tourismus in Deutschland um 1900. In seinem durch die Stiftung geförderten Projekt untersucht er, wie der moderne Tourismus im Kaiserreich entstanden ist und welche Faktoren seine Entwicklung wesentlich geprägt haben. In seinem Vortrag zeigte Häußler, inwieweit der entstehende Tourismus dazu beitrug, kollektive Vorstellungen in der Alltagskultur zu verfestigen, und mit welchen (sprachlichen) Mitteln für touristische Landschaften wie den Rhein oder entstehende Städte wie München damals geworben wurde. Durch diese Zeitreise konnte man nicht nur besser verstehen, wie der moderne Tourismus entstand, sondern auch Einblicke in die Gesellschaft des Kaiserreichs erhalten.
Spaziergang als Ritual und das Frauenbild in Jane Austens Romanen
Jun.-Prof. Sandra Dinter vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Hamburg legte in ihrem Vortrag den Fokus auf Fußgängerinnen und die soziale Rolle von Spaziergängen in Romanen der britischen Schriftstellerin Jane Austen (1775–1817). Dinter erläuterte, wie das Gehen – ähnlich wie alle anderen Mobilitätsformen – kulturell geprägt ist und inwieweit es mit sozialer Schicht oder Geschlecht in Verbindung gebracht werden kann. Vor dem 18. Jahrhundert, so Dinter, sei das Gehen als komisch, dubios und in manchen Fällen sogar als kriminell empfunden worden, da es mit Armut oder sexuellen Motiven assoziiert war. Aus Dinters Forschungsergebnissen ging hervor, dass Austen durch ihre Romane wie Sense and Sensibility (1811) oder Pride and Prejudice (1813) einen neuen literarischen Prototyp geschaffen hat, der in der britischen und westlichen Literatur Eingang gefunden hat. Diesen verkörpert eine Fußgängerin, die sich an der frischen Luft hält, um sich nicht nur gesund zu halten, sondern, und vor allem, um auf das Zusammenwirken von Geschlechterrollen und Klassenordnungen aufmerksam zu machen.
Pupillometrie und psychische Gesundheit im Kindesalter
Psychische Probleme bilden eine gesellschaftliche Herausforderung, deren Dimension sich in Prozentzahlen deutlich veranschaulichen lässt: 20 Prozent aller Kinder leiden an psychischen Problemen, die oft durch Angst ausgelöst werden und die zu langjährigen psychischen Belastungen führen können. Dr. Nico Bast von der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Universitätsklinikums Frankfurt setzt sich zum Ziel, die Genese und Entwicklung von psychischen Störungen zu untersuchen, um so langfristig einen Beitrag zur Prävention und Förderung der psychischen Gesundheit zu leisten. In seinem Vortrag berichtete Bast über einen innovativen Ansatz, in dem er die Pupillometrie mit der Frage verknüpft, wie die Hormonausschüttung unter Stress zu einer veränderten Wahrnehmung im Gehirn führt. Durch die Manipulation der Aktivität des Locus coeruleus – einer neurophysiologischen Struktur, die an der Steuerung der Aufmerksamkeit beteiligt ist – sowie durch die Messung von Veränderungen der Pupillengröße erhoffe man sich, so Bast, neue neurobiologische Erkenntnisse über Entwicklungsstörungen im Kindesalter.
Zu neuronalen Grundlagen visueller Wahrnehmung bei Kindern und Jugendlichen
Dr. Marisa Nordt von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums der RWTH Aachen ging der Frage nach, inwiefern Gehirnentwicklung und Erfahrung zusammenhängen. Im Rahmen ihres Projekts beschäftigt sich Nordt mit dem Gehirnareal, das an der Erkennung von geschriebenen Wörtern beteiligt ist. Mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie untersucht Nordt die Aktivitäten in diesem Areal bei Kindern im Schulalter zwischen 5 und 17 Jahren. Wenn Kinder lesen lernen, so Nordt, nimmt die Aktivierung bei der Erkennung von geschriebenen Wörtern zu. Gleichzeitig sieht man eine Abnahme der Aktivierung in einem Areal, das an der Wahrnehmung von Händen und Gesten beteiligt ist. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass jüngere Kinder mehr auf Hände blicken, beispielsweise beim Spielen oder Gestikulieren. Während des Schulalters gewinnen jedoch geschriebene Wörter zunehmend an Bedeutung. Die im Rahmen des Projekts gewonnenen Erkenntnisse sollen zu einem tieferen Verständnis von Entwicklungsstörungen mit Wahrnehmungsdefiziten, wie beispielsweise Lese-Rechtschreib-Störungen, beitragen.
Künstliche Immunsysteme
Dr. Oskar Staufer vom Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken widmete sich in seinem Vortrag der Frage, wie ein künstliches Immunsystem konstruiert werden kann. Durch die neuesten Erkenntnisse aus der synthetischen Biologie entwickelt Staufer in seinem Projekt künstliche Lymphknoten. Zu ihren Hauptaufgaben sollen, ähnlich wie im Fall natürlicher Lymphknoten, die Koordination der Abwehr gegen infektiöse Krankheitserreger und die Steuerung der Bildung eines immunologischen Gedächtnisses gehören. Da die künstlichen Lymphknoten keine genetische Information enthalten, so Staufer, können sie ohne Risiko verwendet werden. Im Anschluss berichtete Staufer, wie mithilfe des neuen Ansatzes einzelne molekulare Mechanismen des Sars-CoV-2-Virus entdeckt werden konnten und welche Wirkung bestimmte Fettsäuren auf das Spike-Protein von Sars-CoV-2 hatten. Das neue Wissen um die Wirt-Virus-Wechselwirkungen soll die Entwicklung zielgerichteter Therapien, Impfstoffe und anderer vorbeugender Maßnahmen erleichtern.
Klimaschutz und humanitäre Hilfe: Unterstützung aus der Geoinformatik
Abgerundet wurde das Vortragsprogramm durch den Abendvortrag von Prof. Dr. Alexander Zipf vom Geographischen Institut der Universität Heidelberg. Im Rahmen seiner Forschung gab Zipf Einblicke in intelligente Routing- und Navigationsdienste für nachhaltige Mobilität und zeigte, inwieweit Geodaten zur Unterstützung humanitärer Einsätze beitragen können. Immer häufiger dominieren Nachrichten über Erdbeben, verheerende Waldbrände, heftige Stürme und Überschwemmungen die Schlagzeilen. Hilfslieferungen sind in solchen Katastrophensituationen unabdingbar. Aber wie können die dringend benötigten Hilfsgüter geliefert werden, wenn man nicht weiß, in welchem Maße die lokale Infrastruktur zerstört ist? Zur Hilfe kommen Geodaten, die Auskunft darüber geben, welche Gebiete und Infrastrukturen besonders betroffen sind, wo sich potenzielle Opfer und Gefahrenzonen befinden und wie diese zu erreichen sind, um weitere Planungen zum Einsatz und zur Logistik vorzunehmen. Durch Entwicklungen in GPS- und Satellitenbildtechnologie sowie mit den steigenden Online-Partizipationsmöglichkeiten können auch Laien ihre Umgebung auf einfache Weise digital erfassen und zu einer genaueren Ortsbeschreibung beitragen. Der bekannteste Vertreter von nutzergenerierten Geodaten sei OpenStreetMap (OSM), wie Zipf berichtete, eine weltweite Geodatenbank für eine große Vielfalt an Geoobjekten, die jeder verarbeiten, nutzen und verbreiten könne. Im Katastrophenfall können lokale Mapper beispielsweise eingestürzte Brücken oder unbefahrbare Straßen im OSM-System kennzeichnen, sodass gesperrte Straßen oder Gebiete umfahren werden. Als Beispiel führte Zipf das schwere Erdbeben 2010 in Haiti an. Hier bestand großer Bedarf an Informationen über die Lage vor Ort, die über traditionelle Wege nicht beschafft werden konnten. Um dem entgegenzuwirken, wurden von der weltweiten OSM-Gemeinschaft auf Grundlage von Satellitenbildern innerhalb kürzester Zeit detailreiche Karten erzeugt, die sichere Routen für Hilfslieferungen ermöglicht haben. Zum Schluss gab Zipf einen Überblick über weitere Anwendungsmöglichkeiten der nutzergenerierten Geodaten. Im Fokus standen alternative Szenarien für eine nachhaltige, flächeneffiziente und klimasensible Landnutzung sowie Prototypen für personalisierte Routenplanung. Diese umfassten beispielsweise sichere Fahrradrouten oder Routen, die Risikogruppen während Hitzeperioden schützen sollten.
Den Abschluss des Treffens bildete am Sonntagvormittag ein gemeinsamer Besuch der Bundesgartenschau in Mannheim. Bei einer Führung durch das ehemalige US-Militärgelände Spinelli tauchten die Alumni und Stipendiaten in zukunftsrelevante Themen ein wie Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Energie und Nahrungssicherheit.